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Achtzig Kilometer von der chinesischen Grenze, in den fruchtbaren grünen Bergen des Shan-Staates im Nordosten Myanmars befindet sich Namtu, eine Bergarbeiterstadt aus der britischen Kolonialzeit, die besonders für ihre Silber- und Bleiminen bekannt ist. Kürzlich ist die Stadt jedoch in den zweifelhaften Ruhm gekommen, der Hauptaustragungsort der Konflikte zwischen Tatmadaw, ethnischen bewaffneten Organisationen und verschiedenen dem Militär angehörigen Gruppen geworden zu sein. All diese Verbände handeln mit fast vollkommener Straffreiheit und Zivilisten werden häufig zu Opfern.
Illegale Bergbauarbeiter suchen nach Gold in einer Miene, die wegen des Myitsone-Damm-Projekts geschlossen wurde. Sie verwenden Quecksilber, um Gold aus dem Bodensatz zu gewinnen und zu amalgamieren. (Myitsone, Kachin, 13 August 2016)
Viele der Menschen, die von diesem Konflikt vertrieben worden sind—es gibt mehr als 401.000 Binnenflüchtlinge in Myanmar, laut Aussage des Zentrums für Beobachtung der internen Dislokation—leben in Auffanglagern seit die Kämpfe im Jahr 2016 wieder ausgebrochen sind. Diese Unruhen gehen hauptsächlich von den folgenden Faktionen aus: EAOs Restorationsrat des Shan-Staates (RCSS), der Fortschrittspartei des Shan-Staates (SSPP), der Ta’ang Nationalen Befreiungsarmee (TNLA) und der Tatmadaw.
Viele Bewohner der Lager haben schreckliche Geschichten darüber im Petto, was sie in den Konflikten verloren haben; von ihren Häusern, zu Familienangehörigen und Freunden und für einige auch die Hoffnung darauf, dass je wieder andauernder Frieden herrschen wird.
La See sitzt in seinem provisorischen Heim im Lisu-Kirchenlager in Namtu, welches nun das Zuhause von mehr als 200 Binnenflüchtlingen ist. La See sagt, dass er im Jahr 2016 in das Lager gezogen ist, auf Anraten seines Vaters.
„Er wollte nicht noch mehr seiner Kinder verlieren“, sagte er.
La See, ein Bewohner des Lisu-Kirchen-Lagers für Binnenflüchtlinge sitzt im neuen Heim der Familie im Flüchtlingslager. La See vermisst seit dem letzten Jahr Familienangehörige, die ins nächste Dorf aufgebrochen waren, um Reis zu erstehen. La See sagt, dass er Informationen erhalten habe, dass seine Angehörigen von der RCSS verhaftet worden waren. Er hat ihrer Verhaftung nicht von ihnen gehört. (Namtu, 19 Juni 2019)
La See erinnert sich an die Woche, seit der seine zwei älteren Brüder und einige andere Dorfbewohner als vermisst gelten. Sie verschwanden am 18. Juni 2016, nachdem sie das Dorf verließen, um auf dem Markt im benachbarten Namto Reis zu kaufen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Konflikt der ethnischen Gruppen in der Region Siedepunkt erreicht und verschiedene EAOs beherrschten die Dörfer in der Gegend.
Die „[RCSS] warnte die Dorfbewohner davor, nicht mehr als einen pyi (2,13kg) an Reis zu besitzen”, sagte La See. „So würden wir nicht in der Lage sein, Rationen [an andere EAOs] abzugeben.”
La See sagte, dass seine Familienangehörigen nicht zurückgekehrt waren und dass sie begannen, sich zu sorgen, ob sie von der RCSS verhaftet worden seien, da diese am Tag vorher in einem Dorf in der Nähe Verhaftungen durchgeführt hatten.
„Bis zum heutigen Tag habe ich keine Gewissheit darüber, ob sie tot oder lebendig sind. Selbst als Angehöriger habe ich keinerlei Informationen erhalten“, sagte er. „Ich gehe davon aus, dass sie tot sind, doch selbst das weiß ich nicht mit Sicherheit.“
Doch auch das burmesische Militär verbreitet Einschüchterungstaktiken und Gewalttaten an Zivilisten, wie sie es schon seit Jahrzehnten getan haben.
Sai Myint Mon, dessen Bruder Sai Tint Cho als Dorfverwalter von Kyaukme im Norden von Shan gedient hat, ist seit seiner Verhaftung am 26. April in einem Gefangenenlager, weil er von der Tatmadaw beschuldigt wird, für die RCSS Steuern eingeholt zu haben.
Er wurde auf Grund von Paragraph 17 des Gesetzes entgegen der unerlaubten Verbindung verhaftet. Hierbei handelt es sich um ein Gesetz aus der Kolonialherrschaftszeit, welches es den Aufsichtsbehörden erlaubt, Verhaftungen vorzunehmen, wenn jemand „Mitglied einer rechtswidrigen Verbindung ist, an Treffen einer solchen Verbindung teilnimmt, oder Zuwendungen von einer solchen Vereinigung erhält, spendet oder erbittet, oder in einer anderen Weise zu der Tätigkeit einer solchen Vereinigung beiträgt.” Sai Tint Cho kann mit bis zu drei Jahren im Gefängnis rechnen.
„Mein Bruder hat getan, was er tun musste. So ist das Leben nun einmal in dieser Gegend“, sagte Sai Myint Mon. „Wer nein sagt, wird umgebracht.“
Sai Myint Mon zeigt ein Foto von seinem Bruder Sai Tint Cho, welcher gemäß Paragraf 17(1) angeklagt ist. Sai Tint Cho war der Dorfverwalter in Nam Nu in Kyaut May, im Shan-Staat. Ihm wird von der Tatmadaw vorgeworfen, für EAOs Steuern eingenommen zu haben. Er befindet sich bereits im Gefängnis. (Autobahn China-Burma, zwischen Hsipaw und Lashio, Bundesstaat North Shan, 20 Juni 2019)
Es gibt auch andere Gesetze, die vorsätzlich beibehalten wurden und gegen Zivilisten in Konfliktgegenden verwendet werden, sagt Matthew Smith, der Leiter und Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation „Fortify Rights“. Und der Weg in Richtung Gerechtigkeit kann unerreichbar bleiben.
„Der Gerichtsbarkeit in Myanmar mangelt es an Unabhängigkeit, besonders in Fällen, die das Militär betreffen“, sagte Smith. „Ethnische Zivilisten aus konfliktbefallenen Regionen kann ein fairer Prozess verwehrt bleiben.“
Für Menschen, die in diesen Gegenden leben, kann Hilfe von außerhalb unerreichbar sein, da die internationale Hilfe für Binnenflüchtlinge im gesamten Land streng vom Militär beschränkt wird.
„Sie verwenden internationale Hilfe als Waffe, indem sie die Arbeit von humanitären Organisationen unterbinden oder Zivilisten auf andere Art den Zugang zu dieser Hilfe verwehren. Dies ist ein Verstoß gegen das Kriegsrecht und kann ein Kriegsverbrechen sein“, sagte Smith. „Die Folgen sind, dass viele Zivilisten an Mangelernährung leiden, und keinen angemessenen Zugang zu Krankenversorgung, sauberem Wasser, Sanitäranlagen, Unterkünften und anderen Grundbedürfnissen haben.“
Und die Folgen von Kriegen halten für Jahre nach dem letzten Schuss an.
In Panglong, der Stadt, in welcher Aung Sans Panglong-Vereinbarung vor 70 Jahren unterzeichnet wurde, liegt Wee La Tat in seinem Bett. Neben ihm ist das Fenster mit Plastik verklebt, wegen des von Artilleriegranaten zerbrochenen Fensterglases. Hin und wieder reibt er sein Bein, das endet, wo das Kniegelenk sein sollte; das Resultat einer Landmine, auf die er im Jahr 2016 getreten ist.
Da er den Großteil seines Hör- und Sehvermögens, zusätzlich zu seinem Unterschenkel, in der Explosion verloren hat, übernimmt seine Frau Shwe Myat das Wort, wenn sie Besuch haben. Die beiden sind seit über 30 Jahren verheiratet.
„Die Kämpfe zwischen der Tatmadaw und der TNLA hatten sich zugespitzt und so ist er ein paar Tage nach Beendigung der Unruhen in das Gebiet gegangen, um zu sehen, ob die Hütte, die er auf [unserem] Reisfeld gebaut hatte, von den Angriffen verschont geblieben war“, sagte sie. „Es war zu diesem Zeitpunkt, dass er auf die Granate getreten ist. Die Leute, die ihn gefunden haben, haben gesagt, dass sie keinen Knochen in seinem Bein sehen konnten, nur Hautfetzen.“
Wee La Tat, das Opfer einer Landmine (im Bett), und seine Frau Shwe Myat (auf dem Boden) sitzen in ihrem Haus in Panglong Town, Panglong. Wee La Tat ist auf eine Landmine getreten, als er seine Felder nach Kämpfen in der Region überprüfen wollte. Er hat ein Bei verloren und ist seit der Explosion taub. (Panglong, 19 Juni 2019)
Doch seine Frau sagte auch, dass dies nicht das einzige war, das Wee La Tat verloren hat. Auch seinen Lebenswillen habe er an diesem Tag verloren.
„Er ist wie ein toter Mann“, erklärte sie. „Wenn er spricht, dann nur darüber, wie er sterben wolle. Er will nicht mehr leben.“
Shwe Myat sagte, dass seit die Tatmadaw vor zwei Monaten in die Gegend eingezogen ist, es Stabilität mit sich gebracht habe.
„Es ist gut burmesische Soldaten hier zu haben“, sagte sie. „Ohne sie kämpfen die Rivalen um uns herum so schrecklich miteinander.“
Jedoch teilen nicht alle diese Meinung.
Weniger als eine einstündige Autofahrt in Richtung Osten von Kutkai entfernt, befinden sich 200 Flüchtlinge in einem Kirchenlager am Ende einer Schotterstraße in Kachin, einer Handelsstadt entlang der chinesisch-burmesischen Schnellstraße. Die Kinder spielen in einem Feld in der Nähe und die Frauen hängen Decken zum Trocknen auf.
Ja Bu, eine der Frauen in der Kirche, sagte, dass sie und andere Dorfbewohner geflohen sind, nachdem sie Schüsse gehört hatten, die zwischen der Freiheitsarmee Kachins und der Tatmadaw gefeuert worden waren.
„Da wir das letzte Mal, als Unruhen um das Dorf ausgebrochen sind, schlechte Erfahrungen gemacht hatten, haben wir dieses Mal proaktiver reagiert“, sagte sie. Sie bezieht sich auf die vorherigen Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen in der Region über die vergangenen acht Monate hinweg. „Wir hatten damals fliehen müssen und nun mussten wir wieder fliehen.“
Neu angekommene Binnenflüchtlinge sitzen im Hof vor einer Kachin-Kirche, einer etwa 40-minütigen Autofahrt nach Osten von Kutkai. entfernt im Shan-Staat. Die Binnenflüchtlinge sind in der Woche zuvor angekommen als Kämpfe zwischen der TNLA und der Tatmadaw in ihrem Heimatdorf Mo Hann aufgebrochen waren. Die Flüchtlinge sagen, dass die TNLA seit acht Monaten in ihrem Dorf präsent sind. (Kutkai, 22 Juni 2019)
Die Situation im Norden Shans ist nicht einzigartig.
Im vergangenen Jahr haben sich die Kämpfe in ganz Myanmar zugespitzt und die Wahrheitsfindungsmission in Myanmar der Vereinten Nationen sagt aus, dass „gleichbleibende Muster an ernstzunehmenden Menschenrechtsverletzungen und -Missbräuchen” der Tatmadaw in den Regionen Shan, Kachin und Rakhine zu erkennen seien.
Der international bekannteste Konflikt ist die Rohingya-Krise, die über 750.000 Rohingya-Muslime dazu zwang ins benachbarte Bangladesch zu fliehen. Dies geschah während des „Säuberungsprozesses“, den das burmesische Militär vornahm, nachdem die Arakan-Rohingya-Befreiungsarmee im August 2017 mehr als 30 Polizeistationen in Rakhine angegriffen und 12 Angehörige des Sicherheitsdienstes getötet hatte.
Menschenrechtsgruppen schätzen, dass zumindest 6.700 Rohingya, einschließlich zumindest 730 Kinder unter fünf Jahren, bereits im ersten Monat der Unruhen getötet worden waren. Im März 2018, sagte Yanghee Lee, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen in Myanmar, dass die Verbrechen, die von der burmesischen Armee begangen worden sind, „Merkmale eines Genozides“ aufwiesen. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass heute noch 500.000 Rohingya in Lagern oder Lager-ähnlichen Einrichtungen in Myanmar leben, mit beschränktem Zugang zu Nahrungsmitteln, Schulbildung oder Krankenversorgung.
Gleichzeitig hat die Regierung Myanmars alle Verantwortung für die Angriffe zurückgewiesen und eine Stellungnahme herausgegeben, in welcher sie aussagt, dass es die gerichtliche Entscheidung des internationalen Strafgerichthofes „resolut zurückweist”, die die vorsätzliche Abschiebung von Rohingya-Muslimen nach Bangladesch als mögliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit ansieht.
Zurück im Lisu-Kirchen-Binnenflüchtlingslager in Namtu, beantwortet La See die Frage, ob er glaubt, dass der Frieden während seines verbleibenden Lebens wieder einziehen wird. Seine Antwort ist einfach: „Wenn es um die Zukunft geht, habe ich keine Ahnung, was geschehen wird.”
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Article and photography by Victoria Milko.
Editing by Mike Tatarski and Anrike Visser.
Illustrations by Imad Gebrayel.
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