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Das Leben in Kambodscha ist für die kambodschanisch-vietnamesische Gemeinde von Not, Verfolgung und auch Völkermord geprägt. Lange Zeit wurde ihnen vorgeworfen, das benachbarte Vietnam zu stützen – eine Gruppe subversiver Akteure, die versuchen, die Solidarität der Nation zu untergraben. Dennoch wollen die Vietnamesen, die Kambodscha ihr Zuhause nennen, das Land nicht verlassen – selbst, wenn sie es könnten.
2016 kamen Beamte des kambodschanischen Innenministeriums in das Dorf Pak Nam. Die ländliche Gemeinde schmiegt sich in eine scharfe Kurve der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze in der kambodschanischen Provinz Kandal, in den Auen des Mekong-Flusses. Wie viele andere befindet sie sich auf dieser Seite der Grenze. Einfache Holzhäuser auf Stelzen säumen die Hauptstraße und dahinter erstrecken sich Mais-, Chili- und Reisfelder.
Pak Nam beheimatet heute jedoch fast ausschließlich die Nachkommen vietnamesischer Migranten in das heutige Kambodscha. Viele von ihnen überlebten die Jahre des Völkermords unter dem Regime der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979. Die Außerordentlichen Kammern an den Gerichten Kambodschas (ECCC) befanden die beiden überlebenden Hauptanführer der Roten Khmer – Khieu Samphan und Nuon Chea in ihrem Urteil vom März wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 für schuldig (Berufung anhängig).
Fast 40 Jahre nach der Vertreibung und Ermordung von Vietnamesen und anderen ethnischen Gruppen werden diese Handlungen nun endlich als Völkermord anerkannt. Das Gerichtsurteil ist ein wichtiger Schritt, was den Umgang mit der Vergangenheit betrifft. Doch die Vietnamesen sind im modernen Kambodscha immer noch mit Not und Diskriminierung konfrontiert, obwohl viele von ihnen im Land geboren wurden.
Die kambodschanischen Behörden, die 2016 nach Pak Nam kamen, sammelten alle Papiere und Dokumente der kambodschanisch-vietnamesischen Familien ab, die eine kambodschanische Staatsbürgerschaft belegten oder vermuten ließen: Wahlkarten, die offiziellen „Familienbücher“, mit denen die Kambodschaner Geburten, Todesfälle und Ehen erfassen, sowie die Geburtsurkunden der wenigen Glücklichen, die aufgrund dieser Dokumente Zugang zu Dienstleistungen und Staatsbürgerschaft in Kambodscha erhalten hatten. Diese Amtshandlung wird in ganz Kambodscha immer wieder durchgeführt.
„Uns wurden 2016 alle unsere kambodschanischen Papiere weggenommen, einschließlich unseres Familienbuchs, der Ausweise meiner Eltern und unserer Wahlkarten. Wir waren enttäuscht, aber es gab nichts, was wir machen konnten. Wir fühlten uns in Kambodscha nicht willkommen und es war eine Überraschung“, erinnert sich ein Pak Nam Bewohner namens Tho. Aus Sicherheitsgründen und zum Schutz ihrer Identität verwenden wir nur die Vornamen der Einwohner von Pak Nam.
Einwohner von Pak Nam ernten Chili. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Eine Frau mit einem vietnamesischen Sonnenhut ruht von der Chili-Ernte im Dorf Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Kambodscha änderte 1996 sein Gesetz zum Geburtsrecht auf Staatsbürgerschaft, um nur die Kinder von ausländischen Eltern einzubeziehen, die sich rechtmäßig im Land aufhalten. Nach der Umsetzung des geänderten Staatsangehörigkeitsgesetzes am 9. Oktober 1996 gilt dies für alle Neugeborenen.
Tho, der 1984 als Sohn vietnamesischer Eltern im Dorf geboren wurde, erklärt den neuen Registrierungsprozess, den fast jede Familie in diesem stark kambodschanisch-vietnamesisch geprägten Gebiet durchlaufen hat: „Vietnamesische Botschaftsmitarbeiter kommen alle zwei Jahre mit dem Innenministerium zusammen, um die Papiere auszustellen. Wir unterschreiben unsere Namen und bekommen den [kambodschanischen] Ausweis, ohne bezahlen zu müssen.“
Während er seine neue Aufenthaltskarte vorzeigt, die es ihm erlaubt, innerhalb Kambodschas zu reisen, merkt er an, dass die Gebühr 250.000 Riel oder 60 US-Dollar für jede Person über 18 Jahren beträgt. Sein Konto erhielt Spenden von zahlreichen Pak Nam-Bewohnern und anderen kambodschanisch-vietnamesischen Einwohnern, die in der Provinz Kandal leben.
„Die vietnamesische Botschaft in Kambodscha bezahlt die Steuer [Gebühr] für alle. Ohne ihre Hilfe wäre es viel schwieriger, sich das Leben zu leisten, besonders für diejenigen mit großen Familien“, fügt er hinzu.
General Khieu Sopheak, Sprecher des Innenministeriums, bestätigt, dass die vietnamesischen Behörden das Ministerium beim Registrierungsprozess unterstützen, um offiziellen legalen Migrantenstatus zu verleihen.
„Die vietnamesischen Behörden waren früher der Meinung, dass die ethnischen Vietnamesen in Kambodscha Kambodschaner sein sollten, aber jetzt unterstützen sie uns bei dieser Kartenregistrierung. Wir arbeiten gerne mit ihnen zusammen“, sagt er zu Global Ground Media.
General Sopheak leugnet jedoch jede Kenntnis, dass die vietnamesische Botschaft die Registrierungsgebühren bezahlen würde.
„Das ist uns nicht bekannt“, sagt er.
Er erklärt weiter, dass die systematische Beschlagnahme bestehender Dokumente aufgrund der verbreiteten Fälschung von Dokumenten stattfinde, die Nichtbürgern Zugang zu reinen Bürgerdiensten gewährt hätte.
„[Es gab] viele anormale Zertifikate und Ausweise, also haben wir sie registriert, um die Gesetze Kambodschas einzuhalten. Wir baten sie, ihre oft gefälschten Karten gegen offizielle Karten einzutauschen“, sagte er.
„Die Ausweise geben sie als legale Einwanderer in Kambodscha zu erkennen, wo sie das Gesetz respektieren müssen…. jeder ohne Ausweis ist ein illegaler Einwanderer.“
Weder die vietnamesische Botschaft in Phnom Penh noch das vietnamesische Außenministerium reagierten auf die Bitte um eine Stellungnahme.
Die Aufenthaltskarten, die es Familien offiziell ermöglichen, in Kambodscha zu leben und zu reisen, verleihen im Gegensatz zu den früheren Geburtsurkunden keine Staatsbürgerschaft, so dass die Kambodschanisch-Vietnamesischen Einwohner staatenlos bleiben. Sie sind weder rechtmäßige kambodschanische Staatsbürger noch Vietnamesen, und sie besitzen keine Pässe.
Obwohl das Nationalitätsgesetz von 1996 besagt, dass in Kambodscha geborene Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil die kambodschanische Staatsbürgerschaft besitzt, die Staatsbürgerschaft erwerben können, hat sich dies in der Praxis als sehr schwierig für Familien erwiesen.
Die Grenze zwischen Kambodscha und Vietnam ist noch immer nicht vollständig definiert und stellt in Kambodscha einen Streitpunkt dar, da die Angst vor einer vietnamesischen Übernahme besteht.
Dass vietnamesische Unternehmen auf der kambodschanischen Seite der Grenze Land kaufen, wird oft als Beispiel für eine legale Methode dafür genannt. Dass die vietnamesische Marine im Jahr 2018 neue Grenzposten in umstrittenen Gewässern errichtete, wird von der kambodschanischen Regierung als ein ernsthafterer Versuch Vietnams gewertet, die Grenze zu verschieben.
Doch die in Kambodscha weit verbreitete Abneigung und das Misstrauen gegenüber Vietnam und den Vietnamesen haben tiefere Wurzeln als nur die gemeinsame Grenze, wie Sophal Ear, Assistenzprofessor für Diplomatie und Weltgeschehen am Occidental College in Kalifornien, feststellt. Das zeigt sich auch in der unverhältnismäßigen Abneigung gegen Vietnamesen im Vergleich zu Menschen aus Thailand oder Laos.
„Ehrlich gesagt gibt es Ressentiments gegen Thailand, aber die sind nicht annähernd so schlimm wie gegen Vietnam. Und Laos? Zum Vergessen, es gibt [keinen Groll]“, schreibt er in einer E-Mail.
Die Ressentiments sind viel nuancierter als einfache anti-vietnamesische Fremdenfeindlichkeit. Arme Fischer- und Bauerngemeinden stehen im Mittelpunkt des öffentlichen Zorns und behördlicher Maßnahmen. Hingegen werden wohlhabende städtische Kambodscha-Vietnamesen weitgehend in Ruhe gelassen. Deshalb sind Versuche, alle ethnischen Vietnamesen akademisch zusammenzufassen, immer problematisch.
„Es gibt verschiedene Vietnamesen – einerseits die Fischer, andererseits die Leute aus Phnom Penh und viele andere dazwischen. Es ist schwer, alles zu einem Gesamtnarrativ namens „Die Vietnamesen in Kambodscha“ zusammenzufassen“, erklärt Ear. Er fügt hinzu: „Tatsächlich sind diejenigen sehr gut dran, die Generäle und Beamte geheiratet haben. Dazu gibt es inzwischen sicherlich Leute in der kambodschanischen Regierung, die ethnische Vietnamesen sind, aber die [kambodschanische] Sprache sprechen und kambodschanische Namen haben.“
Da sich viele kambodschanisch-vietnamesische Gemeinden seit Generationen am Rande der kambodschanischen Gesellschaft befinden, weit weg von Beamten und Dienstleistungen (und nicht immer Khmer-sprachig), ist es eine logistische Herausforderung für sie, sich offizielle Dokumente zu besorgen.
Hinzu kommt, dass die öffentlichen Register und persönlichen Unterlagen von hunderttausenden Menschen verloren oder zerstört wurden, die in den 1970er Jahren vor der Gewalt und den Unruhen in Kambodscha geflohen waren. Dies hat dazu geführt, dass viele kambodschanisch-vietnamesische Familien von formalen Bildungs- und Gesundheitsdiensten ausgeschlossen sind und nur begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten haben.


Chili-Ernte in Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Mitglieder der kambodschanisch-vietnamesischen Gemeinde können auch nicht die vietnamesische Staatsbürgerschaft über die Grenze hinweg beanspruchen und haben aufgrund fehlender vietnamesischer Unterlagen nur begrenzten Zugang zu seriösen Beschäftigungsmöglichkeiten in Vietnam, wie Tho erklärt.
„Da ich keinen vietnamesischen Ausweis habe, kann ich keinen guten Job in einer Fabrik bekommen, also nur Hilfsarbeit leisten…. Es ist kein Problem, in Vietnam zu arbeiten [in Form von arbeitsintensiven Jobs, die bar bezahlt werden] und [es gibt] keine Feindseligkeiten uns gegenüber, aber die Leute nennen mich einen kambodschanischen Einwanderer, also werden wir als anders angesehen“, sagte er.
„Es ist unmöglich, einen vietnamesischen Ausweis zu bekommen, da man eine vietnamesische Geburtsurkunde haben muss.“
Obwohl er in Vietnam arbeitet, seine Kinder in Vietnam zur Schule gehen und Vietnamesisch die Muttersprache seiner Familie ist, besteht Tho darauf, dass Kambodscha seine Heimat sei.
„Ich würde sagen, ich bin Vietnamese. Die Steuer [Gebühr] und der Personalausweis [verhindern], dass ich mich wirklich kambodschanisch fühle, aber ich werde hier nicht weggehen. Ich bin dem Land meiner Geburt, meinem Familienheim und meiner Lebensweise verbunden“, sagt er.
Vietnams Einfluss
Die kambodschanisch-vietnamesische Gemeinschaft entlang der Grenze, die lange von formaler Bildung, Gesundheitsdiensten und Beschäftigungsmöglichkeiten in Kambodscha ausgeschlossen war, hat sich stattdessen nach Vietnam orientiert, oft nur eine kurze Fährfahrt entfernt.
Viele der Bewohner von Pak Nam sind nicht in der Lage, sich auf Khmer zu unterhalten – eine Situation, die bei der jüngeren Generation noch akuter ist. In den lokalen Geschäften werden vietnamesische Biermarken, Snacks und Kaffeepäckchen verkauft und der bescheidene Friseursalon des Dorfes verwendet die Shampoos und Haargele vietnamesischer Marken. Vietnamesisch ist die Sprache der Wahl für Schilder, Kalender und Mobiltelefone, und die Fernseher und Radios sind alle auf Sender aus dem Ausland eingestellt.
Um 500 Riel oder 3.000 Dong (0,12 USD) können die Dorfbewohner problemlos die regelmäßigen Fähren nehmen, die den Tonle Bassac Fluss den ganzen Tag über befahren und so nach Vietnam einreisen, ohne irgendwelche formale Grenzkontrollen zu passieren.
„Ich gehe auf den Markt in Vietnam und nehme die [Aufenthalts]karte mit. Viele Menschen fahren zum Markt und man sieht viele kambodschanische Nummernschilder auf den Motorrädern. Es gibt keinen Markt in der Nähe, also müssen wir auf den Markt in Vietnam gehen“, erklärt Pak Nam Bewohnerin Shorn, die 1980 in das Dorf zog. Sie hatte zuvor sechs Jahre in Vietnam verbracht, nachdem sie 1974 von der Roten Khmer aus ihrem Geburtsland Kambodscha vertrieben worden war.
„Wir fanden kleine Arbeiten, die wir erledigen konnten und ernteten Soja, um [in Vietnam] über die Runden zu kommen, aber sobald es sicher war, kamen wir nach Kambodscha zurück“, erinnert sie sich. Obwohl viele der vertriebenen Familien nach Kambodscha zurückkehrten, entschieden einige sich dafür, in Vietnam zu bleiben, wo sie weiterhin mit dem gleichen Problem von Staatenlosigkeit und fehlender Staatsbürgerschaft konfrontiert sind wie in Kambodscha.
„Ich spreche gut Khmer, aber hier spreche ich viel mehr Vietnamesisch. Meine Tochter ist bis zur 5. Klasse in Vietnam zur Schule gegangen. Sie versteht Khmer, kann [es] aber nicht sprechen. Es macht mich traurig, dass sie kein Khmer sprechen kann“, gibt sie zu.
Ohne Geburtsurkunde zum Nachweis der Staatsbürgerschaft haben kambodschanisch-vietnamesische Kinder in ganz Kambodscha nur sehr begrenzten Zugang zu formaler Bildung und viele Eltern der vietnamesischen Gemeinde in Pak Nam schicken ihre Kinder jeden Tag über den Fluss nach Vietnam zur Schule.
Dennoch gibt es Bemühungen, das Bildungsangebot auf der kambodschanischen Seite der Grenze zu verbessern. Ein zweisprachiger Lehrer, der kürzlich von der kleinen Schule in der Pagode von Pak Nam eingestellt wurde, bietet den ersten offiziellen Khmer-Unterricht für viele Kinder in der Region an, wie Chan Sokha erklärt. Sie ist Exekutivdirektor der kambodschanischen NGO Khmer Community Development (KCD), die seit langem mit Kindern in der Grenzregion zwischen der Kandal-Provinz und Vietnam arbeitet, um Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen.
„Es ist sehr wichtig, dass sowohl Khmer-Kinder als auch ethnisch vietnamesische Kinder Bildung im khmerischen Schulsystem genießen können. Durch das gemeinsame Lernen können beide die [jeweils andere] Kultur verstehen und das baut Vorurteile und Diskriminierung von Seiten der Khmer-Kinder gegenüber den vietnamesischen Kindern ab. Wenn beide Seiten Verständnis haben, ist eine gute [geschäftliche] Zusammenarbeit oder Weiterentwicklung ihrer Gemeinde möglich“, sagt sie.
Ein vietnamesischer Kalender an der Wand von Van und Lais Haus im Dorf Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Leere Bierflaschen aus Südvietnam warten auf die Rückkehr nach Vietnam zur Wiederverwendung. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Eine kambodschanische Stromrechnung an der Wand eines Pak-Nam-Hauses, einige der einzigen Khmer-Schriften, die im Dorf zu sehen sind. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Für die Grenzfähren werden sowohl kambodschanische als auch vietnamesische Währungen akzeptiert. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Bilder aus der buddhistischen Geschichte und der Khmer-Schrift sowie alte Porträts des kambodschanischen Premierministers Hun Sen und seiner Frau Bun Rany schmücken die kleine Pagode im Dorf Pak Nam (dies ist das einzige „traditionelle kambodschanische“ Gebäude im Dorf). (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Staatliche Grundschulen in den Dörfern Pak Nam und Khna Tang Yu bieten Khmer-Unterricht für Kinder an, weil beide Gemeinden eine große Anzahl an kambodschanisch-vietnamesischen Einwohnern haben. Während NGOs wie KCD Bildungsinitiativen außerhalb des formalen Bildungssektors anbieten, haben viele Kinder mit wenig oder gar keinen Khmer-Sprachkenntnissen nur die Möglichkeit, weiterhin in Vietnam zu studieren.
Die Schulberechtigung ist ein weiteres Thema, aber eines, das in der Nähe der Grenze weniger streng gehandhabt wird als in anderen Gebieten, wie Sokha feststellt.
„In den Grundschulen von Prek Chrey, Pak Nam und Khna Tang Yu scheint es etwas offener zu sein und sie können die Schule ohne Geburtsurkunde besuchen. Aber sie können nur die Grundschule besuchen und es ist ein informelles Lernumfeld“, fügt sie hinzu.
Für die meisten kambodschanisch-vietnamesischen Schüler ist es eine Realität, dass sie am Ende entweder für vietnamesische Unternehmen oder mit größtenteils vietnamesischen Kollegen arbeiten werden – auch wenn sie Kambodscha als ihre Heimat betrachten. Daher ist es eine Herausforderung für das KCD-Team, Eltern und Schüler davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, Khmer zu lernen, räumt Sokha ein.
Derzeit wird fast der gesamte Bildungs-, Gesundheits-, Beschäftigungs- und Einkaufsbedarf der Bewohner dieses Grenzgebiets in Vietnam gedeckt, da das Land auf der anderen Seite der Grenze dichter besiedelt ist und über besser entwickelte Dienstleistungen und Infrastruktur verfügt.
In der kambodschanischen Volkszählung von 2008 (die verspätete Volkszählung 2018 soll im März 2019 beginnen) gaben 0,54 % der Befragten Vietnamesisch als ihre Muttersprache an. Das würde bedeuten, dass von den damals 13,4 Millionen kambodschanischen Einwohnern mindestens 70.000 Menschen vietnamesisch-sprachig waren.
Bei einer derzeitigen Bevölkerungszahl in Kambodscha von etwa 16 Millionen und unter der Annahme, dass es einen ähnlichen Prozentsatz an selbst bezeichneten Vietnamesisch-Sprechern gibt, würde dies bedeuten, dass es mindestens 80.000 vietnamesisch-sprachige Einwohner gibt. Möglicherweise noch viel mehr, wenn manche sich damals dafür entschieden haben, Khmer als Muttersprache anzugeben – um weniger aufzufallen oder um überhaupt in die Volkszählung von 2008 miteinbezogen zu werden.
Für Pak Nam-Bewohnerin Shorn ist der Wunsch stark, in Kambodscha zu leben.
„Mein Vater war Kambodscha-Vietnamese, meine Mutter Khmer, also bin ich in meinem Herzen beides“, erklärt sie. Trotz dieser berechtigten Ansprüche auf die kambodschanische Staatsbürgerschaft nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz bleibt sie ohne Staatsbürgerschaft und hat nur ihre neue kambodschanische Aufenthaltskarte, die sie 2016 erhielt.
„Das Leben hier ist in Ordnung. Ich kann meinen Mais in Vietnam verkaufen, zum Einkaufen auf den Markt gehen. Nichts ist ein Problem“, sagt Shorn.
Im Maisfeld hinter ihrem Haus legen die Gräber von ihren Eltern und anderen Verwandten mit ihren vietnamesischen Inschriften Zeugnis davon ab, wie verbunden sie sich mit dem Land fühlt.
„Ich würde nirgendwo anders wohnen wollen, meine Eltern sind hier begraben.“
Shorns Familienfriedhof hinter ihrem Haus in Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Die Geschichte verpflichtet
Kambodschas vielfältiger ethnischer Mix hat dazu beigetragen, die reichhaltige architektonische, religiöse und kulinarische Landschaft des Landes zu gestalten und zu entwickeln. Während die Khmer den Hauptteil der Bevölkerung stellen, deuten die Hochland-Ethnien und seit neuestem auch chinesische, cham und vietnamesische Migranten auf die historische regionale Anziehungskraft Kambodschas hin. (Die Cham sind die ethnische Muslim-Minderheit in Kambodscha, die von der ECCC ebenfalls als Opfer des Völkermords der Roten Khmer identifiziert wurden.)
Das moderne Kambodscha ist ein imperiales Produkt. Auf seinem Höhepunkt im 12. Jahrhundert umfasste das Angkor-Königreich schätzungsweise 1 Million Quadratkilometer und seine Hauptstadt Angkor Wat war die bevölkerungsreichste Stadt der Welt. Heute findet man angkorianische Denkmäler so weit entfernt wie an der thailändischen Grenze zu Myanmar, sowie im Südvietnam und Laos.
Der darauffolgende Niedergang Angkors führte zusammen mit der Expansion der Nachbarländer Thailand und Vietnam dazu, dass diese territorialen Ansprüche schrumpften – eine Entwicklung, die 1863 ihren Höhepunkt erreichte, als Kambodscha als Teil des französisch besetzten Indochina französisches Protektorat wurde. Es wurde eine große Anzahl an vietnamesischen Beamten und Bürokraten nach Kambodscha gebracht, um bei der Umsetzung der französischen Kolonialpolitik zu helfen. Viele von ihnen blieben, als das Land 1953 die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte.
1969 befanden sich schätzungsweise 400.000 Vietnamesen unter den 7 Millionen Einwohnern in Kambodscha. Die anti-vietnamesische Gewalt im Jahr 1970 – als General Lon Nol durch einen Putsch an die Macht kam – führte zur Vertreibung von 200.000 vietnamesischen Familien und etwa 4.000 Toten durch Massenausschreitungen.
Die Notlage der vietnamesischen Bevölkerung Kambodschas wurde durch die Niederlage der Regierung Lon Nol im April 1975 durch die Rote Khmer nur noch verschlimmert. Obwohl die Rote Khmer ihren kommunistischen Kameraden in Vietnam hinsichtlich ihrer frühen Ausbildung und materieller Unterstützung viel verdankte, führte langjähriger Hass und Misstrauen schnell dazu, dass alle vietnamesischer Einwohner aus Kambodscha vertrieben wurden – und viele davon niedergemetzelt.
Der lang erwartete Höhepunkt des zweiten Prozessabschnitts im Jahr 2018 führte endlich dazu, dass die überlebenden Hauptanführer der Roten Khmer – Khieu Samphan und Nuon Chea – vor den Außerordentlichen Kammern des kambodschanischen Gerichts (ECCC) wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen von 1949 schuldig gesprochen wurden.
Shorn geht durch das Maisfeld hinter ihrem Haus, das zur Begräbnisstätte ihrer Verwandten führt. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
„In jedem Fall wurden Vietnamesen nicht als Einzelpersonen anvisiert, sondern aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit und ihrer empfundenen ethnischen Zugehörigkeit. Dies geschah im Rahmen der [Roten Khmer]-Politik, die speziell auf Vietnamesen als Gruppe abzielte, einschließlich Zivilisten. Bis Ende 1976 wurden die Vietnamesen des Landes verwiesen und ab April 1977, getötet“, heißt es dazu im zusammenfassenden Urteil der Strafkammer.
„Die böse Yuon-Rasse wird vom Erdboden verschwinden. Und wir Kambodschaner werden ein glückliches Volk sein.“ – Pol Pot
„Und jetzt, was ist mit den Yuon? Es gibt keine Yuon auf kambodschanischem Gebiet. Früher gab es fast 1.000.000 von ihnen. Jetzt ist keine einzige Spur von ihnen zu finden.“ – Die “Revolutionäre Flaggen-Zeitschrift” der Roten Khmer, April 1978
Die Rote Khmer wurde Anfang 1979 im Rahmen einer groß angelegten Intervention des vietnamesischen Militärs gestürzt, wobei der Putsch von Überläufern der Roten Khmer unterstützt wurde – darunter der derzeitige kambodschanische Premierminister Hun Sen und andere führende Politiker. Zwischen 1975 und Januar 1979 war die Bevölkerung Kambodschas um schätzungsweise 2 Millionen Menschen zurückgegangen – zu den 20.000 ermordeten Vietnamesen kamen über 1 Million Khmer, Cham und Angehörige anderer ethnischer Gruppen, die unter der Roten Khmer an Hunger, Überarbeitung und fehlender medizinischer Versorgung gestorben waren.
Die Geduld des jetzt vereinigten Vietnam wurde in dieser Zeit durch jahrelange grenzüberschreitende Überfälle durch die Streitkräfte der Roten Khmer auf eine harte Probe gestellt. Sobald ihre Intervention begann, gewannen die Streitkräfte unter vietnamesischer Führung schnell Kontrolle über einen Großteil Kambodschas. Allerdings hielten sich Widerstandsgruppen der Roten Khmer – vor allem entlang der thailändischen Grenze, wo sie Unterstützung von westlichen Ländern und China erhielten. Der Widerstand brach erst mit dem Tod des Führers Pol Pot und der Kapitulation der verbliebenen Roten Khmer im Jahr 1998 vollends zusammen.
Nachdem relative Normalität nach Kambodscha zurückgekehrt war – wenn auch unter vietnamesischer Führung – kehrten viele der 1975 geflohenen kambodschanisch-vietnamesischen Familien zurück, gefolgt von zahlreichen neuen vietnamesischen Migranten. Die UNO, sowie ein Großteil der internationalen Gemeinschaft, erkannte die neue Regierung in Kambodscha allerdings nicht an und unterstützte stattdessen den Verband aus royalistischen, nationalistischen und Rote-Khmer-Gruppen entlang der thailändischen Grenze. 1983 stellten die Vereinten Nationen in einer Hauptversammlung fest, dass sie über die berichteten demographischen Veränderungen, die von ausländischen Besatzungskräften in [Kambodscha] ausgingen, „sehr besorgt seien“.
Nach dem Abzug vietnamesischer Truppen im Jahr 1990 und im Vorfeld der von den Vereinten Nationen unterstützten nationalen Wahlen im Jahr 1993 richteten sich Einheiten der Roten Khmer erneut gegen kambodschanisch-vietnamesische Gemeinden in Kambodscha und zwangen Familien nahe der Grenze, zu fliehen. Zwischen 1992 und 1993 wurden laut Amnesty International etwa 130 Kambodscha-Vietnamesen in Kambodscha getötet und 75 Menschen verletzt, zusätzlich zu einer ungewissen Anzahl an vermissten und vermutlich getöteten Personen.
Der Bericht verdeutlichte den Hass und das Misstrauen, das den Vietnamesen in Kambodscha unter der Regierung der Roten Khmer entgegenschlug und zitierte General Nuon Bunno aus dem Jahr 1992: „Weil die Yuon [….] Angreifertruppen immer noch ihre Aggression und Besetzung Kambodschas fortführen, während die Youn-Einwanderer weiterhin Land und Höfe des kambodschanischen Volkes plündern und damit das kambodschanische Volk akut gegen sich aufbringen.“



1.Häuser in Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
2.Kambodschanisch-vietnamesische Einwohner in Pak Nam. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
3.Häuser in Pak Nam sind dem vietnamesischen Design viel ähnlicher als dem kambodschanischem. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
„Yuon“ ist das traditionelle Khmer-Wort für Vietnam und Vietnamesisch, aber da es in den letzten Jahren eine abfällige und aggressive Nebenbedeutung angenommen hat, mag die kambodschanisch-vietnamesische Gemeinde es nicht. Führende zeitgenössische kambodschanische Oppositionelle, darunter Parteiführer der inzwischen verbotenen „Cambodia National Rescue Party“ (CNRP) wie Sam Rainsy (der nach einer Reihe von politisch motivierten Anschuldigungen gegen ihn im selbst auferlegten Exil in Frankreich lebt und ein lautstarker Kritiker der Regierung geblieben ist), haben die Verwendung des Wortes verteidigt. Denn sie versuchen, die Regierung von Hun Sen – die zu einer Zeit eingesetzt wurde, als vietnamesische Truppen Kambodscha kontrollierten – als Marionetten von Hanoi darzustellen und die vietnamesischen Bewohner Kambodschas als geheime Unterstützungsmacht.
Was auch immer für akademische Argumente und historische Gründe für seine Verwendung es geben mag, die vietnamesische Gemeinde in Kambodscha billigt das Wort nicht. Die Einwohner von Pak Nam wurden darauf angesprochen sichtlich erregt.
„Es ist nicht leicht, das Wort Yuon zu hören. Es klingt für mich beleidigend. Unter Freunden würde man sich nie so nennen, sondern wir würden uns „Viet“ nennen. Aber zum Glück hört man „Yuon“ jetzt immer seltener“, erklärt Tho.
Die derzeitigen Dorfbewohner berichten auch von friedlichen Beziehungen zu ihren Khmer- und Cham-Nachbarn. Tatsächlich geht ein Großteil der anti-vietnamesischen Rhetorik von Gebieten aus, die weit von der Grenze entfernt sind und wo die Begegnungen zwischen Vietnamesen und Khmer oft begrenzt sind, wie Raymond Hyma erklärt, Regionalberater für die kambodschanische Menschenrechts-NGO Women Peace Makers.
„Wir können viel von Gemeinden lernen, die tatsächlich in einem gemischten Umfeld leben und mit denjenigen in Kontakt kommen, die wir in unserem eigenen Umfeld als ‚anders‘ oder ‚Fremde‘ betrachten“, sagt er.
„Wenn wir den Gemeinden entlang der Grenze zwischen Kambodscha und Vietnam zuhören, stellt das viele unserer Annahmen aus dem fernen Phnom Penh in Frage, wo die Menschen die Grenze oft als ein Spaltthema oder als eine Brutstätte von Konflikten betrachten. Obwohl wir natürlich auch von negativen Gefühlen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen hören, finden sich viele andere Beispiele für gelungene Integration und Freundschaft im täglichen Leben von Khmer, Indigenen, ethnischen Vietnamesen, Cham Muslimen und anderen Gemeinschaften, die Seite an Seite leben“, meint Hyma. In Kambodscha gibt es etwa 15 unterschiedliche ethnische Gruppen.
Kambodschanische Nationalstraße 21B nach dem kambodschanischen Grenztor. (Pak Nam, Kambodscha, 9. Februar 2019)
Van und seine Frau Lai leben seit 1982 in Pak Nam. Beide sind Kambodscha-Vietnamesen und sprechen davon, wie stolz sie sind, in Kambodscha aufgewachsen zu sein.
„Die Roten Khmer zwangen uns 1975, Kambodscha zu verlassen und wir lebten in der Provinz Tay Ninh, gleich hinter der Grenze [in Vietnam]. 1982 heirateten wir und zogen dann zurück nach Kambodscha, zuerst nach Kampong Thom, dann nach hier“, erklärt Lai, während sie von der überdachten Veranda ihres bunt eingerichteten Hauses auf die Felder ihrer Familie blickt. Sie wurde in einem schwimmenden Dorf auf dem Tonle Sap See geboren und verbrachte einen Großteil ihrer Kindheit auf dem Wasser.
„Wir werden die Staatsbürgerschaft und die korrekten Papiere beantragen, sobald es uns erlaubt ist [in fünf Jahren]. Ich möchte eine offizielle Nationalität haben“, sagt sie mit einem stolzen Lächeln.
Ihr Mann ist ebenso entschlossen, in Kambodscha zu leben: „Hier sind wir geboren. Von hier sind wir. Ich bin Kambodschaner. Selbst ohne Papiere fühle ich mich kambodschanisch.“
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Article by Anrike Visser.
Editing by Mike Tatarski.
Illustrations by Imad Gebrayel.
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