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Chinas Bio-Imperativ

Das bevölkerungsreichste Land der Welt versucht seiner problematischen Vergangenheit zum Trotz, das Vertrauen der Konsumenten in seinen sicheren Nahrungsanbau wiederherzustellen.

5 March 2019

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Auf dem Weg zu ihrer Farm im Norden der Provinz Guangdong passieren Raymond und Becky Kwong – im Kantonesischen heißen sie Kwong Sang und Wah Tsai – verlassene Häuser inmitten von überwucherten Feldern. Zeugnisse der weitreichenden Migration, die das ländliche China erfasst hat und im Zuge derer Bauern zu Fabrikarbeitern werden, die wiederum urbane Unternehmer hervorbringen.

Als Jintanzhen, der nächstliegende kleine Ort, am Horizont verschwindet, verschmälert sich die Straße. Auf ihr wandern nun Frauen in Strohhüten, die Sicheln und Reisbündel bei sich tragen. Schließlich beginnt die Straße, sich durch die Berge zu schlängeln, vorbei an einem künstlich erschaffenen See und Mandarinenplantagen. Die Mandarinen werden gerade rechtzeitig für das Mond-Neujahr reif.

Am Anfang der Straße zu den Kwongs spielen kleine Kinder mit lebenden Flussaalen und versuchen, ihre nassen, glitschigen Körper in ihren bloßen Händen zu festzuhalten. Herr Kwong deutet auf seine Düngemittelfabrik und sagt: „Die haben wir in der Umstellungsphase gebaut“.

Raymond und Becky Kwong, die auf Kantonesisch Kwong Sang und Wah Tsai heißen, auf ihrem Hof in Qingyuan, China. Die Kwongs haben zwei Jahre lang Land auf dem chinesischen Festland besichtigt, um einen ausreichend großen Grund zu finden, der frei von Umweltgiften und Industrie ist. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

Zwiebeln, Knoblauch und Gemüse wachsen auf den Feldern von Raymond und Becky Kwongs Hof in der ländlichen Umgebung von Qingyuan – eine gebirgige, subtropische Region, die im Osten von Chinas bevölkerungsreichster Stadt Guangzhou liegt. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

Ein Bauer von Magic Seasons Organics in Chingyuan, Südchina, erntet Salat. Nach der Ernte und auf dem Rückweg in die Stadt Qingyuan bringen die Kwongs eine Auswahl ihres Blattgemüses bei einem Restaurant vorbei. Dort wird ihr Gemüse zu einem Mittagseintopf verarbeitet. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

In China ist eine dreijährige Ruhepause nötig, um die Bio-Zertifizierung zu bekommen. Diese soll sicherstellen, dass das betroffene Land nicht von Schwermetallen oder anderen Umweltgiften belastet ist. Denn diese brauchen Zeit, um sich aufzulösen oder unter die Erdoberfläche zu sinken.

In einer Studie aus dem Jahr 2014 fand das Ministerium für Umweltschutz und Landressourcen heraus, dass fast 20 Prozent des chinesischen Ackerlands verseucht waren. Erdproben aus dem ganzen Land testeten positiv auf Umweltgifte wie Cadmium, Nickel und Arsen – wahrscheinlich das Ergebnis von Jahrzehnten ungeregelter Industrialisierung, sowie chemielastigen Landwirtschaftsmethoden, die die chinesische Regierung nun zu unterbinden versucht.

Für eine Nation, die über eine Milliarde Menschen ernähren muss, spielten Umweltbelange lange Zeit eine nachgeordnete Rolle gegenüber der Lebensmittelsicherheit. Chinas Geschichte von Hungersnöten, die durch kommunistische landwirtschaftliche Praktiken ausgelöst wurden, führte zu Regierungsinitiativen, um einen ausreichenden Anbau von Grundnahrungsmitteln wie Reis und Weizen sicherzustellen. Dabei wurden jedoch die langfristigen Umweltauswirkungen nicht berücksichtigt, die ertragssteigernde Mittel haben können.

Das späte zwanzigste Jahrhundert war besessen von dem Gedanken, immer mehr und immer schneller anbauen zu müssen. Dies führte zu einem ungezügelten Einsatz von chemischen Düngemitteln. Laut Daten, die die Weltbank im Jahr 2016 erhoben hat, setzten chinesische Bauern mehr als dreimal so viele chemische Düngemittel ein wie der internationale Durchschnitt. Im selben Jahr führte das landwirtschaftliche Ministerium einen Plan ein, um den Einsatz von chemischen Düngemitteln zu begrenzen. Dieser sollte eine nullprozentige Steigerung des Düngemitteleinsatzes bis 2020 sicherstellen. Es sieht so aus, als ob der Plan aufgehen würde – die Steigerung ist seitdem bei unter 1 % jährlich stagniert.

Krebs ist hier die häufigste Todesursache, und jeder Versuch, biologische Lebensmittel anzubauen, wurde eher durch die Sorge um die persönliche Gesundheit motiviert als durch Sorgen um die Umwelt. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau hat jedoch festgestellt, dass der Gesamtverbrauch von Bio-Lebensmitteln mit etwas mehr als 1 % aller Lebensmittel nach wie vor sehr gering ist. Chemische Pestizide haben bekanntlich schwerwiegende und manchmal sogar tödliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Die Vereinten Nationen schätzen, dass jedes Jahr etwa 200.000 Menschen an Pestizidvergiftungen sterben. Davon betroffen sind hauptsächlich Landarbeiter oder Familien, die in der Nähe von Bauernhöfen leben, wo Pestizide eingesetzt werden. Eine chronische Belastung mit Toxinen wurde mit Krebs, Hormonstörungen, Geburtsschäden, Sterilität, neurologischen Effekten und sowohl Alzheimer, als auch Parkinson in Verbindung gebracht.

Es ist jedoch schwierig, den langfristigen Nutzen beim Konsum von Bio-Lebensmitteln gegenüber konventionellen Produkten durch wissenschaftliche Studien nachzuweisen. Bei den Studien handelt es sich großteils um Beobachtungsstudien und nicht um die randomisierten Kontrollstudien, die in der wissenschaftlichen Forschung Standard sind.

Trotz Chinas enormer Größe verfügt das Land über weniger Ackerland und sauberes Wasser, als ideal wäre, um die größte Bevölkerung der Welt zu ernähren. Ein Großteil der verfügbaren Flächen in den nördlichen und östlichen Regionen ist Wüste und damit landwirtschaftlich nahezu unbrauchbar. Noch dazu wurden 11 % von Chinas 1,4 Millionen Quadratkilometern Ackerland aufgrund von Umweltverschmutzung und Übernutzung vorübergehend brachgelegt.

Die Landwirtschaft hat starke Auswirkungen auf die vergleichsweise geringen Süßwasserreserven Chinas. Mit 2.100 m3 pro Kopf beträgt die nationale Wasserversorgung 28 % des Weltdurchschnitts und ein Bericht der Non-Profit Organisation „Civic Exchange“ aus dem Jahr 2010 ergab, dass 70 % der chinesischen Flüsse und Seen stark verunreinigt waren. Der Bericht ergab außerdem, dass 50 % der Städte verschmutztes Grundwasser aufweisen, was hauptsächlich auf unverantwortliche landwirtschaftliche und industrielle Praktiken zurückzuführen ist. Kürzlich ergaben Regierungsdaten, die 2.301 unterirdische Brunnen erfassten, dass 80 % des untersuchten Wassers nicht trinkbar war.

Der Hof der Kwongs liegt in einem von niedrigen Bergen umgebenen Becken, die praktischerweise Frischwasser in ihr Bewässerungssystem leiten. Nachdem die Kwongs zwei Jahre lang Ackerland im chinesischen Festland und Hong Kong besichtigt hatten, wo sie in den 90ern mit dem Ackerbau begonnen hatten, unterschrieben sie letztendlich ihren 30-Jahre-Pachtvertrag hier in Qingyuan. 

Die Qingyuan-Region, die in Südchina für seine “Qingyuan gai” oder „natürlichen Hühner“ bekannt ist, liegt zirka 270 km von Hong Kong entfernt und 80 km von Guangzhou, Chinas am dichtesten bevölkerten Stadtregion. Die Regierung hat die Gegend, wo der Kwong-Hof liegt, unter Naturschutz gestellt. Dadurch blieb sie von den Kräften der schnellen Industrialisierung unberührt, ebenso wie von schädlichen landwirtschaftlichen Methoden.

Raymond und Becky bewirtschaften dieses Land nun seit zehn Jahren. Sie haben es geschafft, unzählige Schädlinge, Unkräuter und Viren zu bekämpfen, aber ihre komplizierteste Hürde ist das Stigma, das potenzielle Kunden gegen alles hegen, wo „Made in China“ draufsteht – zumindest, wenn es um Lebensmittel geht. 

In Shanghai und Peking sind Bio-Lebensmittel beliebter, aber diese Städte sind über 1.500 km entfernt. Guangzhou oder Shenzhen erweisen sich derzeit als noch nicht profitabel für Bio-Produkte, also ist Hongkong der nächstgelegene Hotspot für Bio-Konsumenten. Die Kwongs verkaufen ihr Gemüse hauptsächlich via Internet an Hongkonger Haushalte, sowie an eine Handvoll Restaurants und Geschäfte, die ihren Produkten mittlerweile vertrauen.

Janice Leung Hayes ist eine Hongkonger Food-Autorin und Befürworterin von regionalen und Bio- Lebensmitteln. Sie meint, die beste Hoffnung für Landwirte, um die bestehenden Vertrauensprobleme zu lindern, seien „transparente Lieferketten, in denen die Menschen genau verfolgen können, wie das Produkt zu ihnen gekommen ist, woher es stammt, wie es hergestellt wurde und so weiter“.

„Wir versuchen, Leute zu uns zu holen, wann immer möglich“, sagt Becky. Nicht viele schaffen es aus der autonomen Region, was an der dreistündigen Fahrt und der notwendigen Grenzüberquerung liegt, aber Becky sagt, allein das Angebot würde schon vertrauensbildend wirken. „Wenn wir die Leute einladen, den Hof zu besuchen, verstehen sie, dass wir nichts zu verbergen haben“, erklärt sie. „Wir wollen unsere Abläufe transparent machen.“

Ein Bauer aus einem nahegelegenen Dorf erntet Salat an einem kühlen Wintertag bei Magic Seasons Organics in Chingyuan, Südchina. Das frische Blattgemüse wird gewaschen, sparsam verpackt und in Kühl-LKWs geladen, die die Produkte über 200 km weit nach Hongkong transportieren. Dort sind die Konsumenten eher bereit, einen höheren Preis für Bio-Qualitätsware zu zahlen als im nahegelegenen Guangzhou oder Shenzhen. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

Ein Gewächshaus voll mit erntebereitem Pak Choi bei Magic Seasons Organics in Chingyuan, Südchina. Das Blattgemüse ist ein fester Bestandteil der kantonesischen Küche und wird oft mit Knoblauch oder zusammen mit gebratenem Fleisch gereicht, sowie in vielen Suppen und Nudelgerichten verwendet. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

Bei Magic Seasons Organics trocknen Rüben und Winterrettich, bevor sie verpackt werden. Die Kwongs versuchen, auch Gemüse anzubauen, das besser für den westlichen Geschmack geeignet ist. Jedoch erfordert das chinesische Gemüse weniger Pflege und ist von Natur aus widerstandsfähiger gegen einheimische Seuchen. (Qingyuan, China, 5. Februar 2018)

Mit über 1.500 Wolkenkratzern – laut Definition Gebäude mit einer Höhe von mehr als 100 Metern – beherbergt Hongkong die meisten der Welt. Und mit über 9.000 Hochhäusern ist ein Großteil von Hongkong darauf ausgerichtet, die Natur fernzuhalten: Der Beton bedeckt die Berghänge und Hunderttausende von Büros und Wohnungen sind ganzjährig klimatisiert, wodurch die üppige subtropische Natur der Stadt neutralisiert wird. Die schmutzige Luft hängt oft schwer über dem einst duftenden Victoria Harbour. Hongkong ist für seine Lebensmittel zu 90 Prozent auf das chinesische Festland angewiesen, aber unter denjenigen, die sich den Luxus leisten können, sich um Lebensmittelqualität zu kümmern, herrscht ein Misstrauen gegenüber diesen importierten Waren.

Trotz dieser regionalen Vertrauensdefizite ist China laut Biofach – Gastgeber der weltgrößten Bio-Messe – heute der viertgrößte Bio-Exporteur weltweit. Die Vereinigten Staaten, Deutschland, die Niederlande und Kanada sind die wichtigsten Verbraucher. Schwellenländer wie China und Indien sind große Exporteure von Bioprodukten, aber laut OFTCC („Organic and Fair Trade Competence Center“, zu deutsch: Kompetenzzentrum für Bio- und Fairen Handel) sind sie in Relation zu ihrer Bevölkerungsanzahl immer noch kleine Verbraucher der Produkte selbst.

Ist eine weit verbreitete biologische Landwirtschaft für China möglich?

Der biologische Landbau liefert typischerweise 10-20 % weniger Ertrag als der konventionelle Landbau. Studien deuten jedoch darauf hin, dass dies in erster Linie auf einen Mangel an umgesetzter Forschung und Technologie zurückzuführen ist. Zwar benötigt die biologische Landwirtschaft mehr Platz, jedoch bietet sie zumindest eine Teillösung für die langfristigen Folgen von kontaminiertem und degradiertem Ackerland – im heutigen China vielleicht ein schwerwiegenderes Problem als Ernährungssicherheit.

Angesichts der zerstörerischen landwirtschaftlichen Vergangenheit des Landes ist ein ganzheitlicherer Ansatz für die Landwirtschaft nicht nur ratsam, sondern notwendig. China hat seinen Bevölkerungsboom bereits hinter sich und kann als Warnung für andere Schwellenländer dienen, da Vorschriften dort weitgehend nicht existieren und Kräfte wie der Klimawandel eine vordringliche Bedrohung für die bestehenden Ackerflächen darstellen.

China hat die globale Nachfrage nach Bioprodukten sehr viel früher verstanden als sein nationales Interesse an dem Konzept selbst. Aber das bedeutet nicht, dass ein solcher Wandel nicht stattfindet.

Bio-Bauernmärkte existieren bereits seit über einem Jahrzehnt in internationalen Großstädten wie Hongkong, Peking und Shanghai und sie haben es geschafft, sich einen Kundenstamm aufzubauen. Tianle Chang, der den Pekinger Bauernmarkt leitet, sagt, dass rund 5.000 Menschen wöchentlich Bio-Produkte auf dem Markt kaufen. Unterdessen bestreiten viele der Betriebe, die den Markt beliefern, den Großteil ihres Geschäfts – teilweise bis zu 90 Prozent davon – mit Hauszustellungen. Diese werden über WeChat bezahlt und organisiert, Chinas meistgenutzte soziale Smartphone-App mit über einer Milliarde monatlichen Nutzern.

Dieser Kundenstamm reicht jedoch nicht bis nach Hongkong, wo die Menschen Bioprodukte lieber von regionalen Höfen oder aus Ländern wie Japan kaufen. Japan wird dort im Gegensatz zum chinesischen Festland als Qualitätsproduzent angesehen.

„Die Menschen haben mehr Vertrauen in Bioprodukte aus Hongkong und ein wichtiger Grund dafür ist die Nähe zu den Höfen und der Vermarktung“, sagt Sonalie Figueiras, Gründerin der beliebten Hongkonger Gesundheits- und Nachhaltigkeitsseite „Green Queen“. „Bioprodukten aus China wird gar nicht vertraut – es herrscht die Ansicht, dass Bio-Labels gefälscht und die Produkte verunreinigt seien.“

Das Misstrauen gegenüber chinesischen Lebensmitteln hat eine feste Grundlage. Im Jahr 2016 wurden 2.500 kg verdorbenes Schweinefleisch aus der Jiangxi Region in Hongkong zurückgerufen. Im Jahr 2012 wurden „Eier“ entdeckt, die aus synthetischen Stoffen wie Paraffin und Kunstharz bestanden und im Jahr 2008 erlebten die Menschen den tödlichen Skandal um durch Melanin belastetes Baby-Milchpulver.

Diese Skandale trugen dazu bei, dass verschärfte Bestimmungen zur Lebensmittelsicherheit erlassen wurden sowie die strengen Bio-Zertifizierungsbestimmungen, die es heute in China gibt. Herr Kwong gibt zwar zu, dass Korruption immer noch ein Thema ist, wenn es um die Zertifizierung geht, aber er sagt auch, dass der Markt sich in die richtige Richtung bewegt. 

In einem Bericht aus dem Europäisch-Chinesischem Forschungs- und Ratgebernetzwerk ECRAN fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Standards für die Akkreditierung und Zertifizierung in der EU und China in vieler Hinsicht vergleichbar waren. Der Verfasser des Berichts kam zu dem Schluss, dass Chinas neue Standards für die Beantragung der Bio-Produktzertifizierung – eingeführt 2012 – „zu den strengsten der Welt für den ökologischen Landbau gehören“.

Als Beispiel für diese strengen Vorschriften gibt Herr Kwong an, dass Rückstände in Höhe von 0,01 Teilen pro Million einer erdölbasierten Chemikalie auf einer angeblich biologischen Tomate einen Landwirt seine Zertifizierung kosten würden – wenn nicht sogar mehr. Andererseits erklärt er, dass die Gefahr schwerer Konsequenzen, wie hohe Bußgelder oder Gefängnisaufenthalte, manche Landwirte davor abschreckt, es überhaupt mit Bio zu versuchen. 

Jedoch reicht juristischer Fortschritt nicht aus, um den Nebel um gefährliche Chemikalien und vergangene Umweltsünden rund um das Konzept chinesischer Bioprodukte zu lichten. Der Landwirt Ray Kwok von der Hongkonger Farm Evergreens Republic sagt, er habe zahlreiche Anfragen erhalten, grenzüberschreitend zu liefern.

„Menschen aus China haben angerufen und gesagt, ihr Arzt hätte ihnen empfohlen, Gemüse von uns zu kaufen“, sagt Kwok. Er und sein Partner haben sich für die Zertifizierung durch die Landwirtschaftsbehörde der Vereinigten Staaten (United States Department of Agriculture, USDA) entschieden, weil „die Leute dieser scheinbar unbedingt vertrauen“.

Weder die Kwongs in Qingyuan noch Tianle Chang in Peking haben viel Hoffnung, dass verschärfte Bestimmungen das Vertrauen in chinesische Bioprodukte aufbauen werden. Beide halten daran fest, dass persönliche Erfahrungen – wie das Probieren von Produkten in örtlichen nachhaltigen Lokalen und die Interaktion mit Bauern am Markt – dafür unbedingt notwendig seien.

„So bauen wir Vertrauen auf“, sagt Chang. „Die Kunden können ihrem Bauern die Hand schütteln und ihm in die Augen schauen. Sie können Fragen zu seinen Praktiken stellen und probieren, diese zu verstehen. Das bedeutet mehr als eine Zertifizierung aus Peking.“

Das globale Beratungsunternehmen McKinsey and Co. schätzt, dass 75 Prozent der chinesischen städtischen Konsumenten bis 2022 zur Mittelschicht gehören werden, was etwa 550 Millionen Menschen entspricht. Mit dieser landesweiten Erhöhung des Lebensstandards steigt das Bewusstsein für Gesundheitsfragen und damit auch das Verlangen nach Sicherheitsstandards wie Bio-Produkten. Diese Verlangen etablieren sich zunehmend auch außerhalb von internationalen Zentren wie Peking und Shanghai. Verhaltensforscher Thomas Talhelm meint dazu, dass die Vertrauenslösung skalierbar sein muss, damit einheimische Bioprodukte mit Importen von als vertrauenswürdiger geltenden Produzenten in Europa und Australien konkurrieren können.

Talhelm, der unter anderem Forschung zu den Verhaltensunterschieden zwischen Weizen- und Reisbauern in China betrieben hat, stimmt dem Lebensmittelverfechter Leung Hayes zu, dass Transparenz der bestimmende Faktor ist, um das Vertrauen zwischen Bio-Produzenten und Konsumenten in China über das ganz örtliche Niveau hinaus herzustellen. 

Obwohl Talhelm einräumt, dass „das allgemeine Vertrauen in China niedriger ist“, merkt er an, dass in China meist solche Systeme gut funktionieren, die einerseits das Vertrauen der Konsumenten benötigen und andererseits digitalisiert werden können. Zum Beispiel müssen alle Lebensmittel, die in chinesischen Supermärkten als biologisch verkauft werden, einen QR-Code und einen 17-stelligen Barcode haben, über den Konsumenten die Herkunft ihrer Lebensmittel einsehen können. Selbst Details zu geschätzten Ertragsquoten und zum Endverkauf sind so erfahrbar.

In Städten wie Hongkong oder Peking gibt es zahlreiche einheimische und ausländische Köche, die nach frischen Zutaten von hoher Qualität verlangen und ihre Kunden dazu anregen, noch einmal über ihre fixen, unbeugsamen Einstellungen zu Lebensmitteln vom Festland nachzudenken.

Max Levy ist ein amerikanischer Koch, der sich mit Bio-Produkten in China ungewöhnlich gut auskennt. Abgesehen davon, dass er vier Lokale in Peking eröffnet hat, ist er auch Miteigentümer von biologischen Schweine- und Gemüsebetrieben außerhalb der Stadt. Als Levy sein neuestes Restaurant Okra in Hongkong eröffnete, erhielten die von ihm servierten hochwertigen chinesischen Produkte hauptsächlich negative Reaktionen von den Kunden.

„Wir führen eine französische Kaviarmarke, die bei Michelin-Köchen sehr beliebt ist“, sagt Levy, „und wenn ich sie den Leuten hier serviere, sage ich: „Das ist ein überlegender kaviar aus Sichuan und alle – alle – alle – sagen: ‚Was! Ist der sicher?‘ Dann zeige ich ihnen das französische Etikett und erkläre ihnen, dass es in Frankreich keinen Stör gibt – er wird nur dort gereift. Diese Unternehmen beziehen ihre Eier seit dreißig Jahren aus China – darüber ist nichts bekannt. Und dann sagen sie, als wären sie wirklich überrascht: ‚Oh, er schmeckt so gut‘.“

Obwohl nur etwas mehr als 1 % aller in China konsumierten Lebensmittel biologisch sind, ist noch weniger Ackerland der Methode gewidmet – gerade einmal winzige 0,59 %. Der USDA-Ökonom und chinesische Landwirtschaftsexperte Fred Gale prophezeit, dass dieser Prozentsatz in der nahen Zukunft nicht über 1-2 Prozent ansteigen werde.

Gale sagt, dass die Kosten für die Umsetzung der Regierungsbestimmungen für alle Landwirte, die biologisch werden wollen, in einem Land wie China „sehr hoch“ wären. Denn die große Mehrheit der Bauern hängt hier stark von chemischen Mitteln ab.

China wird wohl nicht bald wie Österreich oder Schweden werden, wo mehr als 15 Prozent der Anbauflächen biologisch sind, aber es gibt sehr wohl Anzeichen, dass das Bewusstsein für die landwirtschaftliche Verantwortung insgesamt ansteigt. Laut Gale ist sich die chinesische Regierung des Mangels an natürlichen Ressourcen sehr wohl bewusst und versucht deshalb, im eigenen Land nachhaltiger zu werden. Mittel dazu sind eine Verschärfung der Nachhaltigkeitsbestimmungen, sowie erhöhte Lebensmittelimporte.

„Früher entsprach es ihrer Politik zur Ernährungssicherung, die Produktion zu maximieren, aber jetzt verfolgen sie eine differenziertere Politik“, erklärt er. „Sie wollen den Menschen einen höheren Lebensstandard und mehr Wahlmöglichkeiten bieten, wenn es um die Ernährung geht. Gleichzeitig sollen mehr Nachhaltigkeitskriterien zur Anwendung kommen.“

Mehr Lebensmittel zu importieren – egal, ob biologisch oder nicht – mag aus Sicht der Ernährungs- und Ressourcensicherheit funktionieren, aber dieser Schritt bezieht Landwirte wie die Kwongs nicht in die Gleichung mit ein. Wie die Bauern von Chang in Peking werden auch sie sich weiterhin stark darauf verlassen, den Menschen in die Augen sehen zu können. Und auf Köche wie Levy, die es wagen, chinesische Bio-Produkte zu verwenden.

Im Moment mag der Konsum von Bioprodukten eine sehr individuelle Wahl sein, um die persönliche Gesundheit in einem Teil der Welt zu bestimmen, der an gefährlicher Umweltverschmutzung leidet – welche sowohl die Böden, als auch die Flüsse und die Luft betrifft. Aber Wissenschaftler wie Gale und Bauern wie die Kwongs glauben nicht, dass es so bleiben wird. Die Leute beginnen, über das Wohl der Umwelt zu sprechen – zugegebenermaßen in geringem Maße, aber sie tun es.

„Wenn man beginnt, sich um die Erde zu sorgen“, sagt Herr Kwong, „will man kein Gemüse mehr aus Australien oder den USA essen, sondern etwas aus dem eigenen Garten oder von Bauern wie uns.“

Article and pictures by Viola Gaskell.
Editing by Mike Tatarski.
Illustration and infographic by Imad Gebrayel.
Audio story by Mukundwa Katuliiba.

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