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Die Hintergründe des längsten Bürgerkriegs der Welt

Myanmars schwierige Beziehung mit ethnischen Gruppen (Teil 1)

19 September 2019

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Um die Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen im heutigen Myanmar zu verstehen, müssen wir hunderte von Jahren in die Vergangenheit schauen und zurückgehen zu Zeiten, in welchen die antiken Königreiche—wie den Burmanen, Arakanesen und Mon-Khmern—in tief verwurzelten Konflikten festgefahren waren, welche letztlich darin endeten, dass die zentrale Hochebene von den Burmanen dominiert wurde.

Über die Jahrhunderte hinweg begannen andere ethnische Gruppen und Minderheiten ebenfalls damit, Gegenden in den grenznahen Gebieten zu verwalten. Diese repräsentieren die sieben ethnischen Minderheiten des modernen Myanmars: Arakan, Chin, Kachin, Karen, Karenni, Mon und Shan.

Die Eingliederung in das britische Imperium im Jahr 1886 führte schon bald zu weitreichenden Konsequenzen für die verschiedenen Ethnizitäten in Myanmar. Dieses historische Erbe beeinflusst die Ereignisse in Myanmar noch heute.

„Als die Kolonialherren ankamen, verwendeten sie eine Strategie, die sich als „teile und herrsche“ zusammenfassen lässt“, sagte unabhängiger Forscher Kim Jolliffe, der sich hauptsächlich auf Konflikte und humanitäre Notstände konzentriert. „Sie richteten sich explizit gegen die Mehrheit der Bamar (auch Burmesen genannt), weil sie dachten, dass diese die mächtigste Gruppe seien und es zu internen Auseinandersetzungen führen würde.“

Diese Strategie führte dazu, dass die Briten zwei verschiedene Systeme anwandten, sagte Jolliffe: eines im eigentlichen Burma, welches die Heimat der burmesischen Mehrheit war, und das andere in den „Grenzgebieten“, welche von den ethnischen Gruppen bevölkert wurden. Es war zu dieser Zeit, dass bestimmte ethnische Gruppen Vorzug von den Briten erlangten, während der Mehrheit ihre Macht entzogen wurde. Jolliffe erklärte, dass das steigende Nationalgefühl der Burmesen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf diese Entwicklungen zurückzuführen ist.

„In den 1920ern und 30ers trugen zwei Hauptfaktoren zum Aufstand bei, der von den Burmesen angeführt wurde; sie sind marginalisiert und ihrer Macht entzogen worden, so dass sie das Gefühl hatten, dass ihnen ihr Königreich genommen worden war… und [später] wurden sie vom politischen System ausgegrenzt”, sagte er. „Und sie waren die Mehrheit und dies führte zu ‘Burmesischer politischer Kultur’.”

Mit dem nationalistischen Aufstand kam auch der letzte Stoß, der die britische Regierung aus dem Land drängte und zur burmesischen Unabhängigkeit vom britischen Imperium führte. Während dieser Zeit erwarb der Militärführer Aung San an Bedeutung und er war es letztlich, der die Unabhängigkeit von britischer Herrschaft verhandelte.

Zwei Wochen nach Unterschrift des Unabhängigkeitsvertrages mit dem Vereinigten Königreich, am 12. Februar 1947, unterschrieb Aung San, zusammen mit den Oberhäuptern der ethnischen Minderheitsgruppen, die Panglong-Vereinbarung. Dabei handelte es sich um ein Dokument, das als für die nächsten Jahrzehnte als Referenzpunkt für die ethnischen Vertretungsorganisationen dienten würde.

Die Vereinbarung sah vor, dass es eine „vollkommen autonome innere Verwaltung der Grenzgebiete“ geben solle. Dies war das Fundament für ein System in Myanmar, das einem Föderalstaat-System ähnelt. Der Name des Landes wurde offiziell im Jahr 1989 geändert, jedoch werden die Namen Birma und Myanmar noch immer austauschbar verwendet.

Jedoch geschah es am Vormittag des 19. Julis 1947, nur sechs Monate vor der vollkommenen Unabhängigkeit Birmas vom britischen Imperium, dass bewaffnete Mitglieder des Paramilitärs das Ministerium in der Innenstadt Yangons, welches zu diesem Zeitpunkt als Hauptstadt diente, stürmten und Aung San und mehrere seine Kabinettminister töteten. Noch heute wird das Attentat jedes Jahr in Myanmar mit Trauerfeiern gedacht.

Am Tag der Märtyrer, legen Trauernde Rosen vor dem Ministerium nieder, in dem Aung San ermordet worden ist , und beten am Jahrestag seines Todes. Auf dem Poster sieht man sein Symbol in der Mitte. (Yangon, 19. Juli 2017)

Seit Birma seine Unabhängigkeit erlangt hat, wurde der Prozess der Versöhnung zwischen den Oberhäuptern der ethnischen Gruppen immer wieder aufgeschoben und dann versank das Land nach dem Aufstand der kommunistischen Partei Birmas im Bürgerkrieg; nur wenige Monate nach Erlangen der Unabhängigkeit.

Im Jahr 1962 ergriff General Ne Win, ein ehemaliger Premierminister, die Macht und stürzte die demokratische Übergangsregierung. Er überging Gesetze, die bereits in Kraft getreten waren, einschließlich der Pangong-Vereinbarung. Er führte das Land in eine Ära von Jahrzehnte langer brutaler Militärherrschaft mit der Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Oppositionsparteien und ethnischen Föderalisten.

„Wäre die Panglong-Vereinbarung befolgt worden, hätte es statt Bürgerkrieg Selbstbestimmung gegeben”, sagte Sao Hso Ten, das Oberhaupt der Fortschrittspartei im Shan-Staat/ des Militärs im Norden des Shan-Staates, welche seit der 1960er am Bürgerkrieg Birmas involviert ist. „Doch es wurde nicht befolgt; stattdessen wurde eine Militärregierung eingesetzt.“

Als das Militär Birmas, welches auch als Tatmadaw bekannt ist, seine Macht ausweiten und die burmesische Kultur wieder zurückgewinnen wollte, welche es als von den Briten unterdrückt ansah, setzte es ein System ein, das sie „Birmanisierung“ nannten. Dies hatte zum Ziel, das Land zusammenzuführen und die Bürger zu vereinheitlichen. Zu Beginn wurde es verboten, ethnische Sprachen, Religionen, Kulturen und Geschichte in den Schulen zu lehren oder anzuwenden.

„Es gab einen kraftvollen Schub alles in „echte burmesische“ Kultur umzuwandeln…. Der Gedanke dahinter war, sich gegen Kolonialherrschaft zur Wehr zu setzen, jedoch waren die stärksten Folgen für die ethnischen Minderheiten überall im Land zu spüren“, sagte Jolliffe darüber, wie diese Richtlinien die Spannungen zwischen der Tatmadaw und den ethnischen Gruppen erhöhte. „Die Richtlinien waren sehr militaristisch und dies ist ein bedeutender Grund, weshalb ethnische Gruppen ihre Kultur als bedroht ansahen.“

In den 1960er Jahren, als der Bürgerkrieg weiter tobte, begann das Militär die Strategie der „vier Schnitte“ anzuwenden. Diese war entwickelt worden, um die Unterstützung der ethnischen Gruppen für ethnische Minderheitsmilitärgruppen abzuschneiden, indem sie die vier Hauptverbindungen durchschnitten: Nahrungslieferungen, Geldüberweisungen, Nachrichtenübertragungen und Nachfolge neuer Rekruten. Die Folgen dieser Strategie waren verheerend, erklärte Jolliffe.

„Die Strategie basiert darauf, den Aufständischen keine Zufluchtsstätte zu bieten und ihnen die Unterstützung der örtlichen Bevölkerung zu verwehren“, sagte er. „Die Folgen dieser Strategien sind sehr nah an ethnischer Säuberung, auch wenn das nicht das Ziel war, da sie sich darauf konzentrieren, bestimmte ethnische Gruppen ins Radar zu nehmen.“

Um die Unterstützung von Seiten ländlicher Dörfer für ethnische Militärgruppen zu unterbinden, begann das burmesische Militär damit, diese Dörfer umzusiedeln, zu attackieren und zu zerstören. Oftmals folterten und töteten sie dabei jeden, der bezichtigt wurde, in Verbindung mit den Oppositionsgruppen zu stehen. Ganze Dorfgemeinschaften wurden gezwungen, in eingezäunte Bereiche zu ziehen, die strengstens vom Militär bewacht wurden.

Laut Human Rights Watch (einer Organisation, die im Bereich Menschenrechte arbeitet) hat das Militär während dieses Zeitrahmens und in den folgenden Jahrzehnten schwerwiegende, gut-dokumentierte Menschenrechtsverletzungen vorgenommen, einschließlich „weitverbreiteten standrechtlichen Hinrichtungen, Plünderungen, Folterungen, Vergewaltigungen und anderen sexuellen Gewalttaten, willkürlichen Verhaftungen und Folterungen, Sklavenarbeit, dem Anheuern von Kindersoldaten und der Umsiedlung und Zerstörung ganzer Dörfer“ als Teil ihrer Strategie im Kampf gegen die bewaffneten Oppositionsgruppen ethnischer Minderheiten. All diese Dinge, sagte Jolliffe, haben bleibende Narben für die ethnischen Gruppen des Landes hinterlassen.

„Auch heute noch verstecken Menschen Dinge, vergraben Nahrungsmittel und legen bestimmte Orte fest, um den Streifengängen des birmanischen Militärs zu entgehen“, sagte er.

Reihenhäuser im Lisu-Kirchen-Lager für Binnenflüchtlinge in Namtu. Mehr als 200 Menschen leben in diesem Flüchtlingslager, welches im Juli 2016 angelegt wurde, nachdem Kämpfe zwischen EAOs in der Region ausbrachen. (Namtu, 18. Juni 2019)

Der Bürgerkrieg zog sich durch die 70er und 80er und erschöpfte die Ressourcen vieler ethnischer Gruppen. In den 1990ern konnten viele der bewaffneten ethnischen Gruppen dem Druck der militärischen Angriffe nicht weiter standhalten und gingen Waffenstillstandsvereinbarungen ein. Einige dieser Vereinbarungen hielten nicht stand und andere führten dazu, dass neue bewaffnete Gruppen gegründet wurden. Einige Oberhäupter von ethnischen Gruppen wurden vom burmesischen Militär mit wirtschaftlichen Privilegien und Vorteilen geködert, so dass sie zu Tatmadaw unterstützenden bewaffneten Militärgruppen wurden. Dies geschah meistens in den ethnischen Gebieten.

Einer der Hauptstreitpunkte zwischen den ethnischen Gruppen und dem Militär war der Entwurf der Verfassung aus dem Jahr 2008. Die endgültige Fassung ist noch immer rechtsgültig in Myanmar.

Das Dokument führte viele Neuerungen ein: einige der bewaffneten Gruppen wurden in Tatmadaw hörige Militärgruppen umwandelt und stellte sie so unter die direkte Kontrolle der burmesischen Armee. Auch legte es fest, dass eine Person, die mit einem Ausländer verheiratet war, vom Amt des Präsidenten ausgeschlossen werden würde. Das bedeutete, dass die Tochter des Revolutionshelden Aung San, und Leiterin der Nationalen Partei für Demokratie, einer der Hauptoppositionsparteien, San Suu Kyi, die die Witwe eines britischen Staatsbürgers ist, nie Präsidentin werden würde.

Auch sieht es vor, dass 25% der Abgeordnetensitze automatisch an die Tatmadaw vergeben werden. Dies ist genug, um Vetomacht über jeden Gesetzesentwurf ausüben zu können. Jolliffe sagte, dass dies eingeführt wurde, um die „Macht des Militärs zu zementieren“ und um sicherzustellen, dass die Zentralisierungsbemühen unter Kontrolle der Tatmadaw blieben.

„Im Wesentlichen ist die Verfassung noch immer weitgehend zentralisiert. Dies ist ein Punkt, den die bewaffneten Gruppen als Problem ansehen“, sagte er.

Internationale Organisationen haben die neue Verfassung kritisiert, einschließlich Amnesty International, die das Dokument als einen „Versuch den Respekt für Menschenrechte zu untergraben, und eine Militärregierung und Straffreiheit zu etablieren“ tadelten. Örtliche Gruppen, einschließlich der Nationalen Partei für Demokratie, der Vereinigung der Burmesischen Mönche, ethnischen bewaffneten Organisationen und anderen Gruppen, haben die Gesetze zurückgewiesen.

„Die Verfassung wurde damals und wird noch heute vom Militär geführt und es ist eine vom Militär geleitete Regierung“, erklärte Sao Hso Ten, Oberhaupt der Fortschrittspartei im Shan-Staat/ des Militärs im Norden des Shan-Staates, Global Ground Media.

Der Schirmherr der SSPP/SSA, General Sao Hso Ten sitzt in SNLD-Büro im Hauptquartier in Yangon, Myanmar. (Yangon, 27. Juni 2019)

Kurz nach den Nationalwahlen im Jahr 2010, welche internationale Kommentatoren als nicht-unabhängig einstuften, und welche von der vom Militär unterstützen Partei gewonnen wurde, begann der damalige Präsident und vorheriger Militärgeneral neue Waffenstillstandsvereinbarungen mit verschiedenen ethnischen Gruppen auszuhandeln.

Im selben Jahr wurde Aung San Suu Kyi von ihrem Hausarrest entlassen, unter welchen sie über 15 Jahre gestanden hatte. Am Tag nach ihrer Freilassung, sagte sie, dass „eine zweite Panglong-Konferenz von Nöten für eine nationale Versöhnung [sei], um die Anliegen des 21. Jahrhunderts anzusprechen.“ Sie sagte dies in Bezug auf den anhaltenden internen Unruhen in Myanmar.

Fünf Jahre später, im Oktober 2015, wurde die Nationale Waffenstillstandsvereinbarung (NCA) nach zwei Jahren intensiver Verhandlung unterschrieben.

„Die landesweite Waffenstillstandsvereinbarung ist ein Geschenk von historischen Ausmaßen von unserer Generation an die Zukunft“, sagte Thein Sein während der Ratifizierungszeremonie in Naypyidaw, der neuen Hauptstadt des Landes. „Dies ist unser Erbe. Der Weg in Richtung Frieden in Myanmar ist nun eröffnet.“

Jedoch wurde die NCA nicht ohne Vorbehalte angenommen, zwei der größten ethnischen Militär-Organisationen, die Vereinte Armee des Staates Wa und die Kachin Unabhängigkeitsorganisation, haben das Dokument nicht unterschrieben. Andere Parteien, die eingeladen waren an den Verhandlungen teilzunehmen, haben entweder abgelehnt oder haben sich während der Verhandlungen zurückgezogen, wegen des wahrgenommenen Mangels an Fairness. Die Unruhen in den Regionen Shan und Kachin hielten auch während der Zeremonie an.

Doch schon der nächste Monat brachte Hoffnung auf Frieden mit sich als Myanmar seine ersten unabhängigen und fairen Wahlen abhielt.

Die Nationale Partei für Demokratie, die Aung San Suu Kyi leitet, schloss „gleiche Rechte für jede Nationalität und Religion” in ihre Wahlplattform ein, und gewann die Wahlen in einem erdrutschartigen Sieg, wie einige Kommentatoren es genannt haben.  Dies lässt Hoffnung darauf, dass sie dort weiter machen kann, wo ihr Vater vor fast 70 Jahren mit dem Friedensprozess aufgehört hat.

Der amerikanische Außenminister und Daw Aung San Suu Kyi treffen sich am Ministerium für auswärtige Angelegenheiten in Naypyidaw am 15. November. (Naypyidaw, 15. November 2017)

Article and photography by Victoria Milko.
Editing by Mike Tatarski and Anrike Visser.
Illustrations by Imad Gebrayel.

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