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Haben MFIs und Regulierungsbehörden aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?

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21 August 2019

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Mikrofinanzinstitute verzeichnen ein rasantes Wachstum, was erneuten Anlass zur Sorge gibt, es könne zu einer Übervergabe von Krediten kommen.

Im Jahr 2006 signalisierten die Selbstmorde von Mikrofinanzkreditnehmern im Krishna Bezirk von Andhra Pradesh beginnende Schwierigkeiten für den indischen Mikrofinanzsektor. Die Krishna-Krise breitete sich im Jahr 2010 aus und griff auf andere Teile von Andhra Pradesh über.

Mikrofinanz bedeutet, den Armen Kleinstkredite ohne Sicherheiten zu gewähren. Da die Rückzahlungsraten ausgezeichnet sind, entwickelte sich das zu einer Investitionsmöglichkeit, die sich in Indien in den 2000er Jahren rasant ausbreitete.

Zwischen 2008 und 2009 nahm das Kreditportfolio der Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) in Indien mit einer halsbrecherischen Rate von 97 Prozent zu. Im Jahr 2010 sprengte eine Selbstmordwelle von Kreditnehmern – mehr als 80 Menschen brachten sich um – in Kombination mit massenhaften Kreditausfällen „die Blase der Mikrofinanzierung”.

Rund 9,2 Millionen Kreditnehmer in Andhra Pradesh waren mit ihren Krediten in Verzug. Die Mikrofinanzkrise wurde mit der Subprime-Kreditvergabe in den USA verglichen, die im Jahr 2008 die globale Finanzkrise ausgelöst hatte.

Anzeichen für ein problematisches Wachstum

Daten des Netzwerks für Mikrofinanzinstitute (Microfinance Institutions Network, MFIN) – einem großen indischen Verband der Mikrofinanzbranche – deuten darauf hin, dass der Sektor nun wieder im Wachstum begriffen ist.

Im Zuge der Krise von 2010 waren die MFIs gezwungen, ihr Wachstum zu verlangsamen. Die Bankkredite an MFIs trockneten aus und auch die Anzahl der nicht getilgten Kredite stieg an. Im Oktober 2010 verabschiedete die Regierung von Andhra Pradesh eine Verordnung, die noch im selben Jahr in ein Gesetz umgewandelt wurde. Diese erlegt den MFIs mehrere Beschränkungen auf – wie z.B. die Begrenzung von unkontrollierten Mehrfachkrediten, sowie Vorschriften zu den Methoden, wie Kreditrückzahlungen erwirkt werden dürfen. Das Wachstum setzte sich allerdings fort, als die NBFC-MFIs in den Jahren 2015-2016 einen 84-prozentigen Anstieg von ausstehenden Krediten gegenüber dem Vorjahr verzeichneten.

Das Wachstum verlangsamte sich kurzzeitig während der Geldentwertung der indischen Wirtschaft im November 2016, im Zuge derer die Verwendung von 500- und 1.000-Rupienscheinen verboten wurde. Dies führte zu starken Rückgängen im Bruttokreditportfolio und bei den Kundenzahlen. Im Zeitraum von 2016-2017 betrug das Wachstum der NBFC-MFIs im Jahresvergleich nur 25 Prozent, während die gesamte Mikrofinanzbranche um nur 26 Prozent wuchs.

Nach dieser kurzen, durch externe Umstände bedingten Verzögerung scheint das Wachstum wieder auf Kurs zu sein – laut der neuesten MFIN-Daten verzeichneten die NBFC-MFIs in den Jahren 2017-2018 ein Wachstum von 50 Prozent und in den Jahren 2018-2019 ein Wachstum von 47 Prozent.

Wie der Mikrometerbericht des MFIN vom Dezember 2018 zeigt, sind NBFC-MFIs mit 37 Prozent Anteil die größten Anbieter von Mikrofinanzierungen, wobei Banken mit 32 Prozent an zweiter Stelle liegen.

Die 56 NBFC-MFI-Mitglieder des MFIN machen über 90 Prozent des indischen Mikrofinanzsektors aus, mit Ausnahme von Selbsthilfegruppen (SHGs), die Bankkredite erhalten können.

Angesichts des neuerlichen Wachstums fragen Experten sich, ob die alten Praktiken der exzessiven Kreditvergabe tatsächlich ausgestorben sind.

Regulierungsaufsicht nach der Krise

Die Mikrofinanzkrise des Jahres 2010 veranlasste die indische Nationalbank (Reserve Bank of India, RBI) dazu, einzugreifen und den Sektor strenger zu regulieren. Im Bericht des Malegam-Ausschusses aus dem Jahr 2011 wurde eine neue Kategorie von Finanzunternehmen geschaffen, die keine Banken sind: und zwar die sogenannten „Non-Banking Finance Companies-Microfinance Institutions“ (NBFC-MFIs). Ziel war, die im Mikrofinanzsektor tätigen NBFCs zu regulieren.

Der Ausschuss legte Leitlinien fest, um Mehrfachkredite, exzessive Kreditvergaben und sogenannte „Geisterkreditnehmer“ – bei denen andere Personen als der eigentliche Begünstigte die Kredite erhalten – zu verhindern.

Er bekräftigte außerdem, welche Methoden zur Darlehenseintreibung Zwangsmittel darstellen, wie zum Beispiel das wöchentliche Eintreiben von Zahlungen anstelle von Monatsraten. Allerdings erlaubt die RBI wöchentliche Rückzahlungen offiziell und ordnete die Einrichtung von Kreditbüros an.

Die Branchenverbände MFIN und Sa-Dhan wurden 2014 bzw. 2015 als Selbstregulierungsorganisationen (SROs) anerkannt. Sie schufen einen Verhaltenskodex für NBFC-MFIs und begannen, auf dessen Einhaltung zu pochen. Die Hauptverantwortung für die Einhaltung der RBI-Richtlinien lag jedoch bei den einzelnen MFIs. Selbstregulierungsorganisationen wurden unterdessen damit beauftragt, die RBI über alle Branchenentwicklungen zu informieren, Untersuchungen durchzuführen und Quartalsberichte vorzulegen.

In Interviews und E-Mail-Konversationen mit Global Ground Media haben MFIN- und Sa-Dhan-Vertreter die MFIs nicht für die Andhra Pradesh-Krise von 2010 verantwortlich gemacht – trotz der RBI-Regulierungsmaßnahmen, die folgen sollten.

MFIN

In einer Antwort-E-Mail an Global Ground Media sagte der Vorstand des MFIN, Harsh Shrivastava, dass die NBFC-MFI-Branche wachsen und sich trotzdem an verantwortungsvolle Kreditvergabe und Kundenschutz halten müsse. Laut Shrivastava ist der Markt weitgehend unterversorgt – die „aktuelle Kredittiefe“ der NBFC-MFIs liege bei 15 Prozent.

Laut Professor Alok Misra, Vorsitzender des Selbstregulierungsausschusses des MFIN, gibt es „keine gröberen absichtlichen Verstöße, die ernsthafte Maßnahmen erforderlich machen würden“.

In einem Bericht über verantwortungsvolles Finanzwesen in Indien (2016) schreibt derselbe Professor Misra von MFIN jedoch: „Außendienstmitarbeiter drängen weiterhin auf höhere Kredite und trotz Kreditbüro-Überprüfungen gibt es eine erhebliche Mehrfachkreditvergabe.“

Der Bericht stellte auch fest, dass „die Berichte der Kreditauskunfteien kritische Lücken aufweisen, z.B., was die Authentizität der Daten betrifft, und in manchen Fällen kein vollständiges Bild von der Verschuldung der Kreditnehmer zeichnen“.

In jüngster Zeit zeigt auch der Inclusive Finance India Report 2018, der von Professor Misra und Entwicklungsberater Ajay Tankha erstellt wurde, beunruhigende Trends auf. Der Bericht stellt fest, dass MFIs teilweise dazu gezwungen werden, mit den Produkten von Drittanbietern zu handeln. Daraufhin erließ das MFIN eine „Richtlinie für Produkte von Drittanbietern“, die jedoch keine Strafmaßnahmen für Täter vorsieht.

Sa-Dhan

Laut Pillarisetti Satish, Exekutivdirektor von Sa-Dhan, dessen Mitglieder kleine oder mittlere NBFC-MFIs und NGOs sind, „erhalten die Mitgliedsinstitutionen eine Verhaltenskodex-Schulung und unterziehen sich Überprüfungen, um sicherzustellen, dass der Verhaltenskodex eingehalten wird. Außerdem unterliegen sie einer Aufsichtsbehörde. Es gibt auch eine Stelle zur Beschwerdebehebung.”

Nachdem Berichte über Selbstmorde aufgrund von Mikrofinanzkrediten im Palakkad-Bezirk von Kerala im Jahr 2018 zu zirkulieren begannen, schritt Sa-Dhan ein. Der New Indian Express berichtete damals, dass drei Personen Selbstmord begangen hätten, nachdem sie Kredite von Mikrofinanzunternehmen erhalten hatten und von diesen für die Rückzahlungen unter Druck gesetzt worden waren.

Keine der MFIs wurde nach den Selbstmorden in Kerala zur Verantwortung gezogen. Allerdings erklärte Satish, dass Sa-Dhan die Mitarbeiter von NBFC-MFIs in Palakkad darüber „beraten“ habe, wie mit überschuldeten Kunden umzugehen sei und dass von Zwangsmaßnahmen Abstand zu nehmen sei.

Satish sagte, dass Sa-Dhan sowohl MFIs als auch Geldverleiher in der Region gefunden habe. „Wir haben keine konkreten Maßnahmen gegen eine MFI ergriffen, da sich die Kredite der MFIs an Privatpersonen in Grenzen hielten. Aber die Kreditnehmer hatten sich Geld von vielen Institutionen geliehen. Daher ist die MFI eigentlich nicht schuld“, sagte er. Später gab Satish gegenüber Global Ground Media zu, dass MFIs prüfen sollten, ob potenzielle Kunden in einer Schuldenfalle stecken, indem sie bei den Kreditratingagenturen nachfragen.

Die RBI macht nicht die Kunden, sondern die NBFC-MFIs dafür verantwortlich, Kreditlimits zu prüfen. Die RBI-Regeln verbieten es,  Kredite an Kunden zu vergeben, die bereits Kredite bei zwei NBFC-MFIs aufgenommen haben und deren Kredite die Höhe von 100.000 Rupien übersteigen. Die Regeln schreiben auch vor, dass die NBFC-MFIs einer Kreditauskunftei beitreten müssen, über die sie die Schulden potenzieller Kunden überprüfen. Auch die Kreditdaten ihrer eigenen Kunden müssen veröffentlicht werden.

Ergebnisse der Regierung

Während der Geldentwertung im November 2016 wurde den NBFC-MFIs erneut vorgeworfen, bei der Geldeintreibung zu Zwangsmitteln gegriffen zu haben. Nachdem in Nagpur und Amravati weibliche Kreditnehmer protestiert hatten und Anzeigen gegen Unternehmen vorlagen, bildete die Regierung von Maharashtra im April 2017 einen Ausschuss. Dieser sollte herausfinden, ob Mikrofinanzunternehmen in der Region Vidarbha im Osten von Maharashtra – wozu die Bezirke Nagpur und Amravati gehören –ungesicherte Kredite vergaben. Der Ausschuss hat seinen Bericht im Mai 2018 der Regierung vorgelegt.

Der Ausschussbericht, der Global Ground Media vorliegt, erkennt zwar an, dass Mikrofinanzinstitutionen eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, bedürftige und niedrige Einkommensgruppen zu finanzieren. Jedoch gäbe es zahlreiche Beispiele für das Fehlverhalten von Mikrofinanzunternehmen, wie beispielsweise die Mehrfachkreditvergabe an ein und denselben Begünstigten. In einem Fall nahm ein Kreditnehmer jeweils sechs bis acht Kredite gleichzeitig von verschiedenen Mikrofinanzinstitutionen in Anspruch.

Einige NBFC-MFIs brachten die Kreditnehmer dazu, Kredite für die Anschaffung von Mobiltelefonen und Fernsehern aufzunehmen, während andere Institute Kredite vergaben, ohne die Zahlungskräftigkeit der Kreditnehmer bewertet zu haben.

Laut dem Bericht bestand das Hauptmotiv der NBFC-MFIs darin, höchstmögliche Gewinne zu erzielen. Gleichzeitig vernachlässigten sie die Fähigkeiten der weiblichen Landbevölkerung oder die Entwicklung der Dorf- und Hüttenbranche.

Der Zinssatz der NBFC-MFIs liegt zwischen 22 Prozent und 26 Prozent – dies liegt weit über dem durchschnittlichen Banken-Zinssatz von 9 bis 10 Prozent und wird von der RBI gestattet.

Die Autoren des Berichts forderten die RBI auf, MFIs stärker zu überwachen, die effektive Umsetzung der Empfehlungen des Malegam-Ausschusses von 2011 sicherzustellen, angemessene Zinssätze von maximal 20 Prozent zu garantieren, mehrere Kreditauszahlungen an denselben Kreditnehmer zu unterbinden und Versicherungen für Kreditnehmer anzubieten.

In einer Reaktion auf die Vorwürfe im Bericht sagte ein MFIN-Sprecher gegenüber Global Ground Media: „Die Maharashtra-Regierung…hat auch die gute Arbeit von Mikrofinanzunternehmen dokumentiert und Punkte hervorgehoben, die noch verbesserungswürdig sind“.

Interne Berichte der Mikrofinanzbranche und die Ergebnisse des Maharashtra-Regierungsausschusses haben jedoch betont, dass weiterhin exzessive Kredite vergeben und Kunden für die Rückzahlungen unter Druck gesetzt würden. Zudem würde die Kreditwürdigkeit potenzieller Kunden oft nicht oder nur mangelhaft überprüft.

Bewertungen zeigen, dass nach wie vor Probleme bestehen

Nachdem die Andhra Pradesh-Krise den Mikrofinanzsektor im Jahr 2010 erschüttert hatte, erstellten MFIN und Sa-Dhan im Jahr 2011 gemeinsam einen Verhaltenskodex für NBFC-MFIs, der sich am Kodex für faire Praktiken  (Fair Practices Code) der RBI orientiert. Die indische Kleinunternehmerbank „Small Industries Development Bank of India“ (SIDBI), die ein wichtiger Kreditgeber für NBFC-MFIs ist, beauftragte externe Bewertungs- und Ratingagenturen mit der Durchführung von Verhaltenskodexbewertungen (Code of Conduct Assessments, COCA) für NBFC-MFIs.

Angesprochen auf Verstöße gegen den Verhaltenskodex durch NBFC-MFIs erklärte Professor Alok Misra, Vorsitzender des Selbstregulierungsausschusses der MFIN: „[NBFC-MFIs] halten alle Vorschriften ein. Der Sektor ist nicht nur gut reguliert, sondern sogar überreguliert. Nirgendwo auf der Welt sind die Rechenschaftspflicht und Regulierungen so bindend, streng und geahndet wie bei der Mikrofinanz in Indien.“

Im Dezember 2011 stellte Ramesh Arunachalam, der mehrere Bücher über Mikrofinanz geschrieben und lange Jahre in diesem Sektor gearbeitet hat, die liberale Punktevergabe in den COCAs in Frage. Seine Befürchtung ist, dass die Regulierungsbehörden lediglich überprüfen, ob ein Kodex auf dem Papier existiert – anstatt zu überprüfen, ob dieser tatsächlich umgesetzt wird.

„Nur, weil es ausführliche COCAs gibt, heißt das noch lange nicht, dass diese auch vor Ort umgesetzt werden. Kritik an der Branche ist nie willkommen. Die Interessenvertreter, wozu auch Investoren und Kreditgeber gehören, wollen, dass die NBFC-MFIs den Kunden große Summen gewähren. Die Zahlen sind aufgebläht und das Makler-Modell ist bei MFI-Unternehmen immer noch gängig“, sagte Arunachalam und verwies auf das jüngste Versagen von Ratingagenturen, Ausfälle in Millionenhöhe durch NBFCs vorherzusehen.

Nach Angaben der RBI müssen die NBFC-MFIs bei mindestens einem Ratingbüro Mitglied sein. Kreditbüros konsolidieren die Daten von Mikrofinanz-Schuldnern, die von den NBFC-MFIs dann verwendet werden, um das bestehende Kreditengagement und die Bonität eines Kunden zu bewerten. Die RBI hat Ratingagenturen für ihre Unfähigkeit kritisiert, das Kreditrisiko richtig einzuschätzen.

Im Jahr 2014 konsolidierte das Beratungsunternehmen Microsave die COCAs von 50 MFIs. In dessen abschließendem Bericht heißt es, dass die MFIs bei der Mitarbeiter-Schulung für den Verhaltenskodex, sowie bei Transparenz und Fairness gut abgeschnitten hätten. Viele MFIs betreuten jedoch Kunden mit einem Einkommen, das über den vorgeschriebenen Grenzen lag. Ein kleiner Prozentsatz der MFIs akzeptierte Sicherheiten und verstieß damit gegen die Vorschriften für ungesicherte Kredite.

Nur 54 Prozent der MFIs hatten Vorstände, von denen mehr als ein Drittel der Mitglieder unabhängig waren. Sowohl der Bericht des RBI Malegam-Ausschusses von 2011 – welcher gebildet wurde, um den Mikrofinanzsektor nach der Andhra-Pradesh-Krise von 2010 zu untersuchen und Empfehlungen abzugeben – als auch der von MFIN und Sa-Dhan entwickelte überarbeitete Verhaltenskodex stellen den Bedarf an unabhängigen Direktoren in den Vorständen von NBFC-MFIs fest. Der überarbeitete Verhaltenskodex besagt sogar, dass MFIs versuchen sollten, ein Drittel ihres Verwaltungsrates durch unabhängige Direktoren zu besetzen.

Global Ground Media hatte auch Einblick in Verhaltenscodex-Bewertungen, die in mehreren Fällen erzwungene Rückzahlungen, Überschuldung und sogar das Inkasso von Rückzahlungen nach dem Tod des Ehepartners auflisten.

Diese neuen COCAs wurden zwischen 2016 und 2018 von Rating- und Bewertungsagenturen erstellt und zeigen, dass viele Bedenken gegenüber den MFIs auch nach der Krise im Jahr 2010 ihre Berechtigung haben.

  • Arohans COCA 2016 von ICRA Management Consulting Services Limited zeigte, dass in drei Fällen Kreditraten trotz des Todes des Ehepartners weiter eingezogen wurden. Arohans COCA-Bericht der ICRA von 2017 stellte fest, dass den Kreditnehmern kein Sanktionsschreiben und keine Kopie des Darlehensvertrags zur Verfügung gestellt worden war.
  • Uttrayans COCA 2016 von Access Assist stellte fest, dass der Vorstand Überzeugungs- und Drucktaktiken für säumige Gruppen und Mitglieder empfahl. GDFPLs COCA 2016 von M2i Consulting forderte dazu auf, unbefugte Vertreter bei der Kundenakquise zu vermeiden.
  • SV Creditlines COCA 2017 von CARE fand Fälle, in denen das Einkommen der Kreditnehmer über der festgelegten Grenze lag.
  • Annapurna Microfinance COCA 2017 von ICRA besagte, dass Geld an Kreditnehmer verliehen wurde, die einen höheren Verschuldungsgrad als erlaubt hatten.
  • Im März 2017 hatte Prayas laut seinem von CARE durchgeführten COCA noch keine Richtlinie zur Einhaltung des Verhaltenskodex etabliert.
  • Nightingale Finvest Private Limiteds 2015 Bericht von M2i Consulting stellte fest, dass das Kunden-Bewusstsein für die Zinssätze gering ausgeprägt war.

Außerdem besagten die COCAs von mehreren MFIs, dass keine ausreichenden Strategien zur  Kundenentschädigung vorhanden waren.

  • Zum Beispiel behauptete Arohans COCA von 2017 zwar, dass es über ein ziemlich strukturiertes Regelwerk für Beschwerdeverfahren verfügen würde – das Bewusstsein der Kreditnehmer für diesen Mechanismus war allerdings gering ausgeprägt.
  • Auch Annapurnas COCA von 2017 zeigte, dass das Bewusstsein der Kunden für die Beschwerdeverfahren der Branchenverbände niedrig war.
  • Chanuras COCA 2015 von M2i Consulting stellte fest, dass es zwar einen Beschwerdebehebungsausschuss gab, aber keinen Mechanismus, um das Kundenfeedback an die Mitarbeiter der Zweigstelle zu erfassen.
  • Die COCA 2016 der GDFPL ergab, dass keine sukzessiven Verfahren zur Lösung von Beschwerden festgelegt worden waren.

Bis 2016 wurden insgesamt 100 COCA-Bewertungen durchgeführt, während zwischen 2016 und 2017 COCA-Übungen für 37 MFIs stattfanden.

Zusätzlich zu Branchenberichten und Regierungsausschüssen erzählen auch die jüngsten Verhaltenskodex-Bewertungen von fortbestehenden Problemen – lange, nachdem die Krise aus dem Jahr 2010 Veränderungen hervorbringen hätte sollen.

Ein Anschein von Interessenskonflikten innerhalb der Mikrofinanz-Regulatoren

Bedenken um selbst-regulierende Organisationen (SRO), das Mikrofinanz-Institutions-Netzwerk (MFIN) und Sa-Dhan haben sich vermehrt.

Probleme mit dem Management von MFIN, der bedeutendsten selbst-regulierenden Organisation für MFI, wurden laut in einem Report, der von Leitern von MFIN selbst verfasst wurde. Ein Beispiel ist Verantwortliche Finanzwirtschaft in India Report 2016, welcher von Professor Alok Misra veröffentlicht wurde, dem Vorsitzenden des Komitees der selbst-regulierenden Organisation und unabhängiges Vorstandsmitglied von MFIN. Der Report besagt, dass „es weise wäre, eine stringentere Firewall zwischen der Arbeit der [selbst-regulierenden Organisation] und der Lobbyarbeit, und gleichzeitig, die Abhängigkeit von Mitgliedsfonds für die Arbeit [der selbst-regulierenden Organisation].”

Die Transparenz von MFIN ist ein Anliegen, da die Organisation wichtige Befunde, Daten von Kreditbüros und Gutachten fachkundiger Außenstehender nicht mit der Öffentlichkeit teilt, wie der „Verantwortliche Finanzwirtschaft in India Report 2016“ besagt. Der Verfasser mutmaßt, dass es wahrscheinlich ist, dass Veröffentlichung dieser Daten verhindert wird, da MFIN seine Finanzausstattung von den Mitglieds-MFI erhält. „Die Förderung [der Selbst-Regulierung] mit öffentlichen Mitteln würde sicherstellen, dass mehr Befunde öffentlich gemacht werden. Da es sich momentan um eine Organisation auf Mitgliedschaftsmodell handelt, werden wichtige Funktionsbereiche, so wie Bewertungsberichte, Daten [von Kreditbüros], und so weiter, nicht publik gemacht. Dies senkt die Transparenz der Funktion der Organisation.”

Professor Misra hebt hervor, dass ein Großteil der Vorsitzenden von MFIN unabhängige Aufsichtsräte sein sollten. Auch sollte ein Kriterium für Unabhängigkeit sein, dass es „Individuen ausschließt, die direkte Dienstleistungen für Mitgliedsorganisationen tätigen, wie das Zurverfügungstellen von Geldern.”

Drehtür

Ramesh Arunachalam, Autor mehrerer Bücher zum Thema Microfinanz, hat die Interessenskonflikte im Mikrofinanz-Sektor wiederholt hervorgehoben und sagt: „[​G]utes Management erfordert die Identifikation und Linderung von Interessenskonflikten. Die ist im Mikrofinanz-Sektor nicht vorgenommen worden.”

​“Selbst-Regulierung ist ein Oxymoron, und die Praxis Industrie-Verbundende als Schein-Regulatoren einzusetzen ist risikobehaftet”, fügt er hinzu.

MFIN hat 12 Vorstandsmitglieder, acht von ihnen sind Teil von Mitglieds-MFI. Die anderen vier sind sogenannte „unabhängige Aufsichtsratsmitglieder.”

Einer dieser unabhängigen Aufsichtsräte ist Navin Kumar Maini, welcher ein pensionierter SIDBI Vize-Geschäftsführer ist. Er diente auch nicht-exekutiver Direktor von MUDRA, einer Finanzinstitution, welche Geld an MFI verleiht. Seine Tätigkeit für MUDRA fiel in den Zeitraum zwischen August 2015 und Februar 2018. Dieser Zeitrahmen überschneidet sich mit seinem Dienst als unabhängiger Aufsichtsrat für MFIN, den er in 2014 antrat. Desh Raj Dogra ist ein ehemaliger Geschäftsführer und CEO von CARE Ratings.

Professor Alok Misra ist ebenfalls unabhängiges Vorstandsmitglied. Misra ist der ehemalige Geschäftsführer einer Mikrokredit-Rating-Agentur (M-CRIL) und assistierender Geschäftsführer von NABARD (Nationalbank für Agrarwissenschaft und ländliche Entwicklung), welche Mikrofinanz-Institutionen Geld leiht. Global Ground Media bat Alok Misra Stellung zu nehmen, er lehnte dies ab.

Dr. Aruna (Limaye) Sharma ist eine pensionierte Beamtin Indiens und ist das einzige unabhängige Aufsichtsratsmitglied, das nicht zuvor für eine Mitgliedsorganisation von MFIN tätig war.

Arunchalam äußerte seine Bedenken über den MFIN Aufsichtsrat und tat seine Meinungen in einem Interview mit Global Ground Media kund: „SIDBI und MUDRA sind bedeutsame Kreditgeber für den Mikrofinanz-Sektor. CARE Ratings und M-CRIL stellen unabhängige Begutachtungen und Bewertungen des Verhaltenskodex als außenstehende Dritte zusammen. Wie können ehemalige Mitarbeiter dieser Unternehmen als unabhängige Vorstandsmitglieder von Selbst-Regulierungs-Organisationen dienen, wenn sie in Verbindung mit Institutionen stehen, die vom Geschäft im Mikrofinanz-Bereich profitieren? Unter keinerlei Umständen kann der Aufsichtsrat von MFIN sich ein gutes Beispiel von verantwortungsvollem Management nennen.“

Er legt nahe, dass Vorstandsmitglieder nur dann wahrlich unabhängige Funktionen einnehmen können, wenn ein angemessener Zeitrahmen verstrichen ist zwischen der ehemaligen Tätigkeit in der Mikrofinanz-Industrie und dem Dienst als unabhängiges Aufsichtsratsmitglied einer selbst-regulierenden Organisation.

Eine Begutachtung der Arbeitshistorie der unabhängigen Vorstandsmitglieder Navin Kumar Maini, Desh Raj Dogra und Alok Misra brachte zu Tage, dass sie MFIN innerhalb von weniger als eines Jahres nach Kündigung ihrer vorherigen Tätigkeiten bei Mikrofinanz-Konzernen, wie oben ausgelegt, beigetreten sind. Dr. Aruna (Limaye) Sharma wurde als unabhängiges Leitungsmitglied nominiert, sechs Monate nach dem sie im August 2018 in Ruhestand getreten ist von ihrer Position als Staatssekretärin im Ministerium für Stahl.

„Sollte je ein Interessenskonflikt aufkommen für einen Mitarbeiter von MFIN, werden unsere unabhängigen Vorstandsmitglieder sich an die strengsten Vorschriften unternehmerischen Managements halten und sich von den betreffenden Diskussionen entschuldigen“, schrieb ein MFIN-Sprecher in einer E-Mail.

Management und Vertretung der Mitgliedsorganisationen

Zusätzlich zu den Verbindungen zu anderen Konzernen im Mikrofinanz-Sektor, sieht es auch nach einem Interessenskonflikt aus, wenn unabhängige Aufsichtsratsmitglieder gleichzeitig auch im Vorstand der Mitgliedsorganisationen mitwirken. Zumindest zwei der unabhängigen Vorstandsmitglieder von MFIN sind zeitgleich Aufsichtsratsmitglieder von Organisationen, die MFIN untergegliedert sind.

Desh Raj Dogra wird als unabhängiges Vorstandsmitglied von Asirvad Microfinance Limited und M Power Microfinance aufgelistet, beides Mitglieder von MFIN. Unabhängiges Aufsichtsratsmitglied Alok Misra ist ebenfalls unabhängiges Vorstandsmitglied von Vaya Finserv, einem MFIN Mitglied.

Ein Sprecher von MFIN sagte aus: „Unabhängige Leitungsmitglieder müssen ihre Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat von MFIN-Mitgliedern publik machen, und das hat Desh Raj Dogra in den Fällen von M Power und Asirvad getan.” Misra ist vor kurzem Vaya Finserv beigetreten und hat das dem MFIN-Sekretariat mitgeteilt, sagte ein MFIN-Sprecher aus.

Die Durchführungsordnung 2018 von MFIN sieht vor, dass „Vertreter von assoziierten Organisationen [nicht-Mitglieder] zu unabhängigen Vorstandsmitgliedern nominiert werden.” Assoziierte Organisationen sind nicht-Mitglieder, die in Aktivitäten im Bereich Mikrofinanz und finanzieller Inklusion arbeiten. Diese haben den Status assoziierter Organisationen von MFIN, jedoch nicht NBFC-MFI.  Die Durchführungsordnung sagt nicht aus, dass Vertreter von Mitgliedsorganisationen wählbar sind, unter der Bedingung, dass sie ihre Verbindung öffentlich bekannt machen.

Ein Sprecher von MFIN sagte aus, dass unabhängige Vorstandsmitglieder gewählt werden, um das Fachwissen und die Expertise des Gremiums zu erhöhen. „Mikrofinanz als Geschäftsmodell existiert in keinem Vakuum. MFIN und seine Mitglieder arbeiten eng mit vielen anderen Interessenvertretern zusammen“, sagte der Sprecher.

In einer E-Mail schrieb der Sprecher des Weiteren, dass unabhängige Aufsichtsräte eine wichtige Rolle im Management von MFIN spielen. Ein unabhängiges Vorstandsmitglied ist Vorsitzender des Ernennungs- und Renumerationskomitees. Dieses ist dafür zuständig, die Leistungen der Unternehmensleitung zu bewerten, einschließlich die des Geschäftsführers, und neue unabhängige Direktoren zu nominieren, die dem Aufsichtsrat, dem Komitee der Selbst-Regulierungs-Organisation und der Vollstreckungsgremium beisitzen. Die Komitees in den Ressorts Finanz und Prüfung, wie auch SRO werden ebenfalls von unabhängigen Vorstandsmitgliedern geleitet.

Zwei der vier unabhängigen Aufsichtsräte, Dogra and Misra, führen diese Tätigkeiten aus und sind zeitgleich auch in der Leitung von Mitgliedsorganisationen tätig.

Eine andere SRO, ähnliche Praktiken

Eine andere selbst-regulierende Organisation, Sa-Dhan, hat momentan 11 Aufsichtsratsmitglieder, von denen acht zu den Mitgliedsinstitutionen von Sa-Dhan gehören. Die anderen drei sind unabhängige Vorstandsmitglieder. Brij Mohan ist der ehemalige Geschäftsführer von SIDBI, und Madhukar Umarji war der Geschäftsführer von RBI. Sie verließen diese Organisationen im Jahrzehnt nach dem Jahrtausendwechsel. Das dritte unabhängige Vorstandsmitglied ist Rajashree Baruah, der Hauptgeschäftsführer von NABARD.

Unabhängiges Leitungsgremiumsmitglied, Brij Mohan, ist auch der Vorsitzende und unabhängiges Aufsichtsratsmitglied im Vorstand von Ananya Finance für Inklusives Wachstum und unabhängiger Aufsichtsrat von Maanaveeya Entwicklung und Finanz. Beide Organisationen sind Mitglieder  von Sa-Dhan. Mohan ist auch ein unabhängiger Aufsichtsdirektor der Rating-Agentur M-CRIL.

Auf Nachfrage ob sie Stellung nehmen könnten zu Brij Mohans Zugehörigkeit zu anderen Organisationen, schrieb Pillarisetti Satish, Geschäftsführer von Sa-Dhan, in einer E-Mail: „Brij Mohan ist kein Vollzeit-Mitarbeiter in diesen Institutionen. Er ist ein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied oder Vorstandsmitglied [dieser Institutionen]. All die Institutionen, mit denen er zusammenarbeitet, haben sich dem Ziel eines inklusiven Finanzmarktes in diesem Land verschrieben und es gibt keinen Grund zu Bedenken, was seine Mitwirkung in den Vorständen dieser Institutionen betrifft.”

Satish antworte auch auf wiederholte Fragen zu Baruahs Position innerhalb NABARD nicht.

Hauptgeschäftsführer Satish war der Hauptgeschäftsführer von NABARD. Der Geschäftsführer ist nicht Teil des Aufsichtsrates von Sa-Dhan.

Arunachalam äußerte folgendes zum Thema des Vorstandsrates von Sa-Dhan: „Der Aufsichtsrat von Sa-Dhan ist nicht perfekt. Jedoch ist die Tatsache, dass sie einen Vertreter des Regulators RBI im Vorstand haben, ein Zeichen größerer Neutralität.”

Arunachalam fügt hinzu, dass sich RBI bewusst ist, um das schwache Management in der Branche, und auch, dass ihre eigene Glaubwürdigkeit eine Krise durchläuft. „Stellt RBI sicher, dass die Berichte [der selbst-regulierenden Organisationen] der Wahrheit entsprechen?“, fragt er. In den vergangenen Jahren, wurde RBI in Frage gestellt für die schwache Aufsicht, dem Mangel an Transparenz und ihrem Scheitern zweifelhaften Kreditgewährung auf den Grund zu gehen. RBI hat mehreren Nachfragen von Seiten Global Ground Media nicht geantwortet.

In dem Fall der Zentral-Informations-Kommission gegen RBI wegen ihrer Weigerung, die Namen der Zahlungssäumiger weiterzugeben, sagte RBI, dass es die Namen nicht freigeben könne, wegen der „Verschwiegenheitspflicht, die RBI gegenüber den Kunden hat“. Sie fügen hinzu, dass die angeforderten Informationen nicht nur die Daten der vorsätzlich Säumigen umfassen, sondern auch jene Kreditnehmer einschließen würde, die eine wirtschaftliche Notlage durchleiden. Der Fall steht am obersten Gerichtshof in Bombay an.

Im Fieber der Zielvorgaben

Es ist jedoch nicht nur das Management in Mikrofinanz-Konzernen, das Besorgnis erregt. Auch die Realitäten vor Ort sind beunruhigend.

Moin Qazi hat für Banken und Mikrofinanz-Institutionen gearbeitet und vier Jahrzehnte Erfahrung im Bereich Entwicklungshilfe, und fügt folgendes über den Mikrofinanz-Sektor im Allgemeinen hinzu: „Die Realität sieht sehr schlecht aus. Sachbearbeiter sollten Kreditnehmer angemessen beraten, jedoch haben sie gigantische Zielvorgaben. Die Sorgfaltspflicht wird vernachlässigt. Helfen MFI den Armen oder profitieren sie von ihnen?“

Mit der Ausweitung von Kredit-Portfolios stehen Kredit-Administratoren unter Druck immer mehr Kunden unter Vertrag zu nehmen und Rückzahlungen sicherzustellen. Der Inklusive Finanz-Report Indiens 2018 zeigt auf, dass MFI noch nicht adäquat auf die Sorgen von Kredit-Sachbearbeiten reagiert haben, bezogen auf die sich stetig erhöhende Arbeitslast, die Anzahl von Kreditnehmern und den Umfang des Portfolios.

Amulya Krishna Champatiray arbeitet im Ressort der finanziellen Inklusion und leitet Trainingsseminare für IFMR Lead, einer Forschungsorganisation im  Bereich Mikrofinanz und sagt, dass MFI aus jeder Krise gelernt haben, jedoch noch einen langen Weg vor sich haben, wo es um die Kunden geht.

Auch wenn die Mikrofinanz-Lobbyisten ein Bild zu projetzieren versuchen, dass alles gut ist in der Branche, zeigt eine nähere Betrachtung des Sektors und der Regulatoren, dass auch wenn einige MFI den Ärmsten finanzielle Dienstleistungen zur Verfügung stellen wollen, die Warnsignale noch immer deutlich sind und dass Sachverhalte, die die Andhra-Pradesh-Krise im Jahr 2010 hervorgerufen haben, weiterhin nichts Gutes für die Branche prophezeien.

If you need help or know someone who does, please reach out now through a suicide hotline near you.

Article by Urvashi Sarkar.
Editing by Mike Tatarski and Anrike Visser.
Research by Peter Allen Clark.
Illustrations by Imad Gebrayel.

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