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Kann Frieden einziehen?

Myanmars schwierige Beziehung mit ethnischen Gruppen (Teil 3)

4 October 2019

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Am Nachmittag des 12. Mais 2018 füllten Polizisten die Straßen der Innenstadt Yangons und schlugen die Demonstranten mit Schlagstöcken und zerrten sie in Polizeiwagen. Auch als sie davongezerrt wurden—manche mit Griff an die Gurgel—riefen die Demonstranten immer weiter: „Wir wollen Frieden!”

Demonstranten auf der Antikriegsdemonstration in Tamwe, Yangon, Myanmar. (Yangon, 12. Mai 2018)

Polizei auf der Antikriegsdemonstration in Tamwe, Yangon, Myanmar. (Yangon, 12. Mai 2018)

Die Demonstrationen zogen Tausende Teilnehmer an und wurden in diesem Monat überall in Myanmar abgehalten. Menschen gingen auf die Straße, um ihre wachsende Frustration mit Menschenrechtsmissbräuchen in den ethnischen Gegenden kundzutun, die sich seit Jahrzehnten in einen Zustand des Bürgerkrieges befinden.

„Wir [Jugendgruppen] haben festgestellt, dass die Regierung nichts von den Dingen unternimmt, die sie versprochen haben. Es scheint, als tun sie Dinge nur zum Schein“, sagte Jugendaktivist und Demonstrant am 12. Mai, Thinzar Shunlei Yi. Er spricht darüber, dass die Wahlkampagne der Regierung versprochen hatte, Frieden und Gleichstellung für alle Bewohner Myanmar zu bringen. „Deshalb haben wir beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und die Botschaft des Friedens selbst zu den Menschen zu bringen.“

Drei Jahre nachdem die Nationale Partei für Demokratie (NLD) unter Leitung von Aung San Suu Kyi die Macht angetreten hat, hat der Friedenfindungsprozess an Schwung verloren, sagen Experten.

Nachdem Antritt der NLD im März 2016 kündigten sie an, dass sie zwei Mal pro Jahr Friedensgespräche führen wollen, welche sie die „Panglong-Union-Friedenskonferenzen des 21. Jahrhunderts“ nannten, in Anlehnung an die Panglong-Konferenz im Jahr 1947.

Doch schon zu Beginn der ersten Konferenz, welche im August 2016 stattfand, gab es Probleme. Die bewaffneten Organisationen, wie zum Beispiel die Nationale Befreiungsarmee von Ta’ang und die Arakan-Armee waren nicht eingeladen worden teilzunehmen und die Unruhen in Kachin und Shan gingen weiter, während die Konferenz von Statten ging.

Nach mehreren Vertagungen wurde die zweite und dritte Konferenz abgehalten, doch jede von ihnen sah weniger Fortschritt als die vorherige. Zum Zeitpunkt der dritten Konferenz hatten Gruppen, wie der Karen-Nationale Unions- und Restaurierungrat des Shan-Staates sich zurückgezogen, mit der Begründung, dass es an der Implementierung der Überreinschlüsse mangele.

„Es ist unglaublich zu sehen, wie die Hoffnung, die im Oktober 2015, mit der Unterschrift der nationalen Waffenstillstandsvereinbarung so stark gewesen ist, immer weiter absinkt, da das Militär die Implementierung der Beschlüsse immer wieder verhindert“, sagte Jason Gelbort. „Dies macht es nicht erstrebenswert für andere Gruppen ebenfalls am NCA-Prozess teilzunehmen, gerade weil es weiterhin Tatmadaw-Offensiven und Missbräuche gegen Zivilisten gibt.“

Eines der Hauptprobleme, sagte Gelbort, ist, dass die Resultate, die sich das Militär wünscht, vollkommen anders sind als jene, welche die ethnischen Organisationen sich wünschen. Dies führt zu einer Pattsituation in den Verhandlungen.

„Die ethnischen bewaffneten Organisationen, ethnischen Gemeinschaften und die Service-Organisationen wollen die Struktur des Staates verändern und erkennen die Verfassung aus dem Jahre 2008 nicht an“, erklärte er. „Sie wollen verhandeln, wie die Union in der Zukunft aussehen kann; wie die Macht aufgeteilt und Rechte beschützt werden sollen.“

Jedoch ist das erwünschte Ziel des Militärs, in den Augen jeder, die direkt an den Friedensverhandlungen teilnehmen, das Gegenteil.

„[Oberbefehlshaber] Min Aung Hlaing will nur eine einzige Armee im Land und er will uns entwaffnen. Wir stimmen zu, dass eine einzige Armee politische Probleme lösen würde, aber das Problem mit der Aufgabe unserer Waffen ist die Frage der Nachfolge“, sagte Sao Hso Ten, das Oberhaupt der Fortschrittspartei im Shan-Staat/ des Militärs im Norden des Shan-Staates. „[Er] sagte, dass wir niemals abfallen sollten, aber das Recht der Sezession ist unser Geburtsrecht.”

Das Recht zur Sezession, das Sao Hso Ten anspricht, geht auf die Panglong-Vereinbarung zurück, die Aung San und die ethnischen Oberhäupter im Jahr 1947 festgelegt haben. Dies gewährt den ethnischen Gruppen größere Autonomie von der Zentralregierung. Jedoch wurde die Vereinbarung nach der Ermordung von Aung San und der darauffolgenden Regierungsübernahme durch das Militär niemals umgesetzt.

Doch um eine Änderung der Verfassung bewirken zu können müssen mehr als 75% der 440 Abgeordneten sich dafür aussprechen. Dies ist fast unmöglich, da die derzeitige Verfassung vorsieht, dass das Militär automatisch 100 Sitze erhält, oder 25% Abgeordneten, gemäß des berüchtigten Paragraphs 436.

„Min Aung Hlaing sagte, dass es an der Zeit ist, den Waffenkampf beizulegen, die bewaffneten Gruppen zu abzuschaffen und dem Parlament beizutreten, aber Aung San Suu Kyi kommt nicht um Paragraph 436 herum; wie sollen sich die Dinge dann ändern?” fragte Sao Hso Ten. „Wenn wir nicht die Waffen ergreifen, können wir keine Freiheit erlangen.”

Ein Mitglied der Kaung-Kha-Miliz vor dem Manau der Stadt. Das Dorf befindet sich eine 40-minütige Autofahrt von Kutkai entfernt- und wird vollkommen von der Milizarmee kontrolliert. (Kutkai, 22. Juni 2019)

Generalmajor Zawn Lum von der Kaung-Kha-Miliz sitzt in einem Büro in ihrem Hauptsitz außerhalb Kutkai im Shan-Staat. (Kutkai, 22. Juni 2019)

Ein Wachmann steht am Eingang zum Kaung-Kha-Milizdorf und dem Hauptquartier. (Kutkai, 22. Juni 2019)

Vertreter internationaler Organisationen teilen diese Ansicht.

„Die Tatmadaw ist der größte Stolperstein zur Entwicklung Myanmars zu einer modernen, demokratischen Nation”, sagte Marzuki Darusman, der Vorsitzende der unabhängigen Wahrheitsfindungsmission der Vereinten Nationen in Myanmar, in einer Pressemitteilung der OHCHR. „Der Oberbefehlshaber der Tatmadaw, Min Aung Hlaing, und all seine derzeitigen Befehlsführer müssen ersetzt und eine Neustrukturierung muss vorgenommen werden, um das Militär unter zivile Kontrolle zu bringen. Der Übergang Myanmars zu einer Demokratie hängt davon ab.”

Im Dezember 2018, verkündete die Tatmadaw, dass es einen Waffenstillstand in fünf Regionen aufrufen würde, um die Friedensgespräche wiederzubeleben. Dies wurde von den örtlichen und internationalen Kommentatoren gelobt.

Jedoch reichte der Waffenstillstand nicht offiziell bis zum Rakhine-Staat, wo die Kämpfe zwischen Tatmadaw und der Arakan-Armee sich seit Beginn des Jahres intensiviert und tausende Zivilisten vertrieben hatten. Auch an anderen Orten vertrieben die Unruhen zwischen der Tatmadaw und anderen bewaffneten Gruppen Dorfbewohner in Regionen von Shan und Kachin.

Angesichts der langsamen Fortschritte der Unionsregierung haben sich die ethnischen Organisationen auf Volksebene zusammengeschlossen, um die Bewohner gemeinsam zu vertreten, internationale Hilfe zu erhalten, Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen weiterzuleiten und die Jugend über Führung und Demokratie zu unterrichten.

„Wenn wir unseren Bewohnern nicht helfen, wer soll es stattdessen tun?“ fragt

Lway Poe Kamaekhour, ein Leiter der Frauenvereinigung in Ta’ang, welche den ethnischen Bevölkerungen im kriegsgebeutelten Norden des Shan-Staates humanitäre Hilfe leistet und regelmäßig die Tatmadaw um Frieden in der Region appelliert.

Wie wir mit den Demonstrationen gesehen haben, die im vergangenen Jahr in Myanmar stattgefunden haben, wird der Ruf nach Frieden—oder Schritte in Richtung Frieden, wie die Abschaffung von Paragraph 436—immer lauter, besonders bei den jungen Leuten.

„Es scheint, dass [die Regierung] Frieden daran misst, wie viele Konferenzen sie abhalten und das ist kein guter Messwert”, sagte Thinzar Shunlei Yi. „Wir [die Jugend] denken, dass es einen starken Konsensus und eine Anerkennung der Dinge geben sollte, die die Menschen wollen. Im Moment gibt es keine Anerkennung. Wie kann Frieden erreicht werden, wenn wir nicht Teil des Friedensprozesses sind?”

Bis die Stimmen der Jugend und der ethnischen Minderheiten im Land anerkannt werden, werden Gruppen sich weiterhin zusammenschließen und ihre Vertretung in eigene Hand nehmen, sagte Thinzar Shunlei Yi.

„Wir werden sicherstellen, dass unsere Stimmen gehört werden, bis wir endlich Frieden erreichen.“

Article and photography by Victoria Milko.
Editing by Mike Tatarski and Anrike Visser.
Illustrations by Imad Gebrayel.

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