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Mikrofinanzinstitute verzeichnen ein rasantes Wachstum, was erneuten Anlass zur Sorge gibt, es könne zu einer Übervergabe von Krediten kommen.
Im Jahr 2006 signalisierten die Selbstmorde von Mikrofinanzkreditnehmern im Krishna Bezirk von Andhra Pradesh beginnende Schwierigkeiten für den indischen Mikrofinanzsektor. Die Krishna-Krise breitete sich im Jahr 2010 aus und griff auf andere Teile von Andhra Pradesh über.
Mikrofinanz bedeutet, den Armen Kleinstkredite ohne Sicherheiten zu gewähren. Da die Rückzahlungsraten ausgezeichnet sind, entwickelte sich das zu einer Investitionsmöglichkeit, die sich in Indien in den 2000er Jahren rasant ausbreitete.
Zwischen 2008 und 2009 nahm das Kreditportfolio der Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) in Indien mit einer halsbrecherischen Rate von 97 Prozent zu. Im Jahr 2010 sprengte eine Selbstmordwelle von Kreditnehmern – mehr als 80 Menschen brachten sich um – in Kombination mit massenhaften Kreditausfällen „die Blase der Mikrofinanzierung”.
Rund 9,2 Millionen Kreditnehmer in Andhra Pradesh waren mit ihren Krediten in Verzug. Die Mikrofinanzkrise wurde mit der Subprime-Kreditvergabe in den USA verglichen, die im Jahr 2008 die globale Finanzkrise ausgelöst hatte.
Anzeichen für ein problematisches Wachstum
Daten des Netzwerks für Mikrofinanzinstitute (Microfinance Institutions Network, MFIN) – einem großen indischen Verband der Mikrofinanzbranche – deuten darauf hin, dass der Sektor nun wieder im Wachstum begriffen ist.
Im Zuge der Krise von 2010 waren die MFIs gezwungen, ihr Wachstum zu verlangsamen. Die Bankkredite an MFIs trockneten aus und auch die Anzahl der nicht getilgten Kredite stieg an. Im Oktober 2010 verabschiedete die Regierung von Andhra Pradesh eine Verordnung, die noch im selben Jahr in ein Gesetz umgewandelt wurde. Diese erlegt den MFIs mehrere Beschränkungen auf – wie z.B. die Begrenzung von unkontrollierten Mehrfachkrediten, sowie Vorschriften zu den Methoden, wie Kreditrückzahlungen erwirkt werden dürfen. Das Wachstum setzte sich allerdings fort, als die NBFC-MFIs in den Jahren 2015-2016 einen 84-prozentigen Anstieg von ausstehenden Krediten gegenüber dem Vorjahr verzeichneten.
Das Wachstum verlangsamte sich kurzzeitig während der Geldentwertung der indischen Wirtschaft im November 2016, im Zuge derer die Verwendung von 500- und 1.000-Rupienscheinen verboten wurde. Dies führte zu starken Rückgängen im Bruttokreditportfolio und bei den Kundenzahlen. Im Zeitraum von 2016-2017 betrug das Wachstum der NBFC-MFIs im Jahresvergleich nur 25 Prozent, während die gesamte Mikrofinanzbranche um nur 26 Prozent wuchs.
Nach dieser kurzen, durch externe Umstände bedingten Verzögerung scheint das Wachstum wieder auf Kurs zu sein – laut der neuesten MFIN-Daten verzeichneten die NBFC-MFIs in den Jahren 2017-2018 ein Wachstum von 50 Prozent und in den Jahren 2018-2019 ein Wachstum von 47 Prozent.
Wie der Mikrometerbericht des MFIN vom Dezember 2018 zeigt, sind NBFC-MFIs mit 37 Prozent Anteil die größten Anbieter von Mikrofinanzierungen, wobei Banken mit 32 Prozent an zweiter Stelle liegen.
Die 56 NBFC-MFI-Mitglieder des MFIN machen über 90 Prozent des indischen Mikrofinanzsektors aus, mit Ausnahme von Selbsthilfegruppen (SHGs), die Bankkredite erhalten können.
Angesichts des neuerlichen Wachstums fragen Experten sich, ob die alten Praktiken der exzessiven Kreditvergabe tatsächlich ausgestorben sind.
Regulierungsaufsicht nach der Krise
Die Mikrofinanzkrise des Jahres 2010 veranlasste die indische Nationalbank (Reserve Bank of India, RBI) dazu, einzugreifen und den Sektor strenger zu regulieren. Im Bericht des Malegam-Ausschusses aus dem Jahr 2011 wurde eine neue Kategorie von Finanzunternehmen geschaffen, die keine Banken sind: und zwar die sogenannten „Non-Banking Finance Companies-Microfinance Institutions“ (NBFC-MFIs). Ziel war, die im Mikrofinanzsektor tätigen NBFCs zu regulieren.
Der Ausschuss legte Leitlinien fest, um Mehrfachkredite, exzessive Kreditvergaben und sogenannte „Geisterkreditnehmer“ – bei denen andere Personen als der eigentliche Begünstigte die Kredite erhalten – zu verhindern.
Er bekräftigte außerdem, welche Methoden zur Darlehenseintreibung Zwangsmittel darstellen, wie zum Beispiel das wöchentliche Eintreiben von Zahlungen anstelle von Monatsraten. Allerdings erlaubt die RBI wöchentliche Rückzahlungen offiziell und ordnete die Einrichtung von Kreditbüros an.
Die Branchenverbände MFIN und Sa-Dhan wurden 2014 bzw. 2015 als Selbstregulierungsorganisationen (SROs) anerkannt. Sie schufen einen Verhaltenskodex für NBFC-MFIs und begannen, auf dessen Einhaltung zu pochen. Die Hauptverantwortung für die Einhaltung der RBI-Richtlinien lag jedoch bei den einzelnen MFIs. Selbstregulierungsorganisationen wurden unterdessen damit beauftragt, die RBI über alle Branchenentwicklungen zu informieren, Untersuchungen durchzuführen und Quartalsberichte vorzulegen.
In Interviews und E-Mail-Konversationen mit Global Ground Media haben MFIN- und Sa-Dhan-Vertreter die MFIs nicht für die Andhra Pradesh-Krise von 2010 verantwortlich gemacht – trotz der RBI-Regulierungsmaßnahmen, die folgen sollten.
MFIN
In einer Antwort-E-Mail an Global Ground Media sagte der Vorstand des MFIN, Harsh Shrivastava, dass die NBFC-MFI-Branche wachsen und sich trotzdem an verantwortungsvolle Kreditvergabe und Kundenschutz halten müsse. Laut Shrivastava ist der Markt weitgehend unterversorgt – die „aktuelle Kredittiefe“ der NBFC-MFIs liege bei 15 Prozent.
Laut Professor Alok Misra, Vorsitzender des Selbstregulierungsausschusses des MFIN, gibt es „keine gröberen absichtlichen Verstöße, die ernsthafte Maßnahmen erforderlich machen würden“.
In einem Bericht über verantwortungsvolles Finanzwesen in Indien (2016) schreibt derselbe Professor Misra von MFIN jedoch: „Außendienstmitarbeiter drängen weiterhin auf höhere Kredite und trotz Kreditbüro-Überprüfungen gibt es eine erhebliche Mehrfachkreditvergabe.“
Der Bericht stellte auch fest, dass „die Berichte der Kreditauskunfteien kritische Lücken aufweisen, z.B., was die Authentizität der Daten betrifft, und in manchen Fällen kein vollständiges Bild von der Verschuldung der Kreditnehmer zeichnen“.
In jüngster Zeit zeigt auch der Inclusive Finance India Report 2018, der von Professor Misra und Entwicklungsberater Ajay Tankha erstellt wurde, beunruhigende Trends auf. Der Bericht stellt fest, dass MFIs teilweise dazu gezwungen werden, mit den Produkten von Drittanbietern zu handeln. Daraufhin erließ das MFIN eine „Richtlinie für Produkte von Drittanbietern“, die jedoch keine Strafmaßnahmen für Täter vorsieht.
Sa-Dhan
Laut Pillarisetti Satish, Exekutivdirektor von Sa-Dhan, dessen Mitglieder kleine oder mittlere NBFC-MFIs und NGOs sind, „erhalten die Mitgliedsinstitutionen eine Verhaltenskodex-Schulung und unterziehen sich Überprüfungen, um sicherzustellen, dass der Verhaltenskodex eingehalten wird. Außerdem unterliegen sie einer Aufsichtsbehörde. Es gibt auch eine Stelle zur Beschwerdebehebung.”
Nachdem Berichte über Selbstmorde aufgrund von Mikrofinanzkrediten im Palakkad-Bezirk von Kerala im Jahr 2018 zu zirkulieren begannen, schritt Sa-Dhan ein. Der New Indian Express berichtete damals, dass drei Personen Selbstmord begangen hätten, nachdem sie Kredite von Mikrofinanzunternehmen erhalten hatten und von diesen für die Rückzahlungen unter Druck gesetzt worden waren.
Keine der MFIs wurde nach den Selbstmorden in Kerala zur Verantwortung gezogen. Allerdings erklärte Satish, dass Sa-Dhan die Mitarbeiter von NBFC-MFIs in Palakkad darüber „beraten“ habe, wie mit überschuldeten Kunden umzugehen sei und dass von Zwangsmaßnahmen Abstand zu nehmen sei.
Satish sagte, dass Sa-Dhan sowohl MFIs als auch Geldverleiher in der Region gefunden habe. „Wir haben keine konkreten Maßnahmen gegen eine MFI ergriffen, da sich die Kredite der MFIs an Privatpersonen in Grenzen hielten. Aber die Kreditnehmer hatten sich Geld von vielen Institutionen geliehen. Daher ist die MFI eigentlich nicht schuld“, sagte er. Später gab Satish gegenüber Global Ground Media zu, dass MFIs prüfen sollten, ob potenzielle Kunden in einer Schuldenfalle stecken, indem sie bei den Kreditratingagenturen nachfragen.
Die RBI macht nicht die Kunden, sondern die NBFC-MFIs dafür verantwortlich, Kreditlimits zu prüfen. Die RBI-Regeln verbieten es, Kredite an Kunden zu vergeben, die bereits Kredite bei zwei NBFC-MFIs aufgenommen haben und deren Kredite die Höhe von 100.000 Rupien übersteigen. Die Regeln schreiben auch vor, dass die NBFC-MFIs einer Kreditauskunftei beitreten müssen, über die sie die Schulden potenzieller Kunden überprüfen. Auch die Kreditdaten ihrer eigenen Kunden müssen veröffentlicht werden.
Ergebnisse der Regierung
Während der Geldentwertung im November 2016 wurde den NBFC-MFIs erneut vorgeworfen, bei der Geldeintreibung zu Zwangsmitteln gegriffen zu haben. Nachdem in Nagpur und Amravati weibliche Kreditnehmer protestiert hatten und Anzeigen gegen Unternehmen vorlagen, bildete die Regierung von Maharashtra im April 2017 einen Ausschuss. Dieser sollte herausfinden, ob Mikrofinanzunternehmen in der Region Vidarbha im Osten von Maharashtra – wozu die Bezirke Nagpur und Amravati gehören –ungesicherte Kredite vergaben. Der Ausschuss hat seinen Bericht im Mai 2018 der Regierung vorgelegt.
Der Ausschussbericht, der Global Ground Media vorliegt, erkennt zwar an, dass Mikrofinanzinstitutionen eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, bedürftige und niedrige Einkommensgruppen zu finanzieren. Jedoch gäbe es zahlreiche Beispiele für das Fehlverhalten von Mikrofinanzunternehmen, wie beispielsweise die Mehrfachkreditvergabe an ein und denselben Begünstigten. In einem Fall nahm ein Kreditnehmer jeweils sechs bis acht Kredite gleichzeitig von verschiedenen Mikrofinanzinstitutionen in Anspruch.
Einige NBFC-MFIs brachten die Kreditnehmer dazu, Kredite für die Anschaffung von Mobiltelefonen und Fernsehern aufzunehmen, während andere Institute Kredite vergaben, ohne die Zahlungskräftigkeit der Kreditnehmer bewertet zu haben.
Laut dem Bericht bestand das Hauptmotiv der NBFC-MFIs darin, höchstmögliche Gewinne zu erzielen. Gleichzeitig vernachlässigten sie die Fähigkeiten der weiblichen Landbevölkerung oder die Entwicklung der Dorf- und Hüttenbranche.
Der Zinssatz der NBFC-MFIs liegt zwischen 22 Prozent und 26 Prozent – dies liegt weit über dem durchschnittlichen Banken-Zinssatz von 9 bis 10 Prozent und wird von der RBI gestattet.
Die Autoren des Berichts forderten die RBI auf, MFIs stärker zu überwachen, die effektive Umsetzung der Empfehlungen des Malegam-Ausschusses von 2011 sicherzustellen, angemessene Zinssätze von maximal 20 Prozent zu garantieren, mehrere Kreditauszahlungen an denselben Kreditnehmer zu unterbinden und Versicherungen für Kreditnehmer anzubieten.
In einer Reaktion auf die Vorwürfe im Bericht sagte ein MFIN-Sprecher gegenüber Global Ground Media: „Die Maharashtra-Regierung…hat auch die gute Arbeit von Mikrofinanzunternehmen dokumentiert und Punkte hervorgehoben, die noch verbesserungswürdig sind“.
Interne Berichte der Mikrofinanzbranche und die Ergebnisse des Maharashtra-Regierungsausschusses haben jedoch betont, dass weiterhin exzessive Kredite vergeben und Kunden für die Rückzahlungen unter Druck gesetzt würden. Zudem würde die Kreditwürdigkeit potenzieller Kunden oft nicht oder nur mangelhaft überprüft.
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Article by Urvashi Sarkar.
Editing by Mike Tatarski and Anrike Visser.
Research by Peter Allen Clark.
Illustrations by Imad Gebrayel.
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